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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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Garnelen.
    »Willst du auch eine?«, fragt der Müslimann und schaufelt sich eine Ladung auf den Teller.
    »Nee. Ich mag keine Meeresfrüchte. Aber, ehm, ich dachte du seist Vegetarier?«
    »Ja, ich esse ja auch kein Fleisch. Nur Fisch.«
    So, so.
    Er erklärt mir, dass er aus Klimaschutzgründen kein Fleisch isst, wegen den pupsenden Rindern, die mehr CO 2 verursachen als der weltweite Automobilverkehr. Ein Auto hat er auch nur deshalb, weil er das für seinen Job braucht.
    »Und warum ist Fisch essen deiner Meinung nach besser als Fleisch?«, frage ich.
    »Weil die Überfischung der Meere zwar schlecht für die Biodiversität ist, aber keinen Einfluss auf das Klima und damit unsere Lebensgrundlage hat«, sagt er.
    Interessante Argumentation. Aber leider falsch. Die Veränderung der Biodiversität beeinflusst nämlich durchaus auch den Klimawandel, erkläre ich ihm.
    Der Müslimann windet sich.
    »Du hast ja recht. Aber Fisch ist halt einfach geil. Und weil ich auf Fleisch verzichte, habe ich wenigstens ein besseres Gewissen.«
    Er ist also doch nicht so glatt, wie ich dachte, und inkonsequent noch dazu. Ich fange an, ihn zu mögen.
    Vier Stunden später ist das Bier alle. Der Müslimann sucht im Gartenhäuschen nach dem Marillenschnaps, der dort noch irgendwo sein muss, und ich gehe mit Martha zur Tanke. Als sie mit dem Bier an der Kasse steht, packe ich noch ein paar Chipstüten obenauf. Hilft ja alles nichts. Dann ist es auf einmal fünf Uhr morgens. Die Chips sind weg, die Gäste auch, und Martha ist auf ihrem Liegestuhl eingeschlafen. Der Müslimann und ich machen den Marillenschnaps leer und reden über den Sinn des Lebens. Mittlerweile weiß ich, dass er Architekt ist und Ökohäuser baut.
    »Du bist schon ein ganz schönes Klischee, ne«, sage ich und im gleichen Moment nehme ich mir vor, in Zukunft entweder zu trinken oder zu reden, aber niemals beides zusammen.
    Der Müslimann lacht.
    »Kann sein, ja. Aber ich hole nur das nach, was ich früher nicht hatte.«
    »Was denn?«
    »Na ja, ich war ein Schlüsselkind, nie war mittags jemand zu Hause, und meine Eltern haben sich nicht für gesunde Ernährung interessiert«, sagt er. »Deshalb genieße ich es, dass ich mir das jetzt alles leisten kann.«
    »Ein Schlüsselkind?«, rufe ich. Ich bin begeistert.
    »Ich wollte immer ein Schlüsselkind sein!«
    »Du spinnst ja.«
    »Doch, im Ernst. Wenn du eine Ökokindheit hattest, findest du das später nicht mehr so toll.«
    Wir schweigen eine Weile.
    »Dann sind wir ja beide gleich bescheuert«, sagt der Müslimann schließlich und grinst.
    Weil es definitiv keinen besseren Abschlusssatz geben kann, beschließe ich, mich auf den Heimweg zu machen. Ich versuche, Martha aufzuwecken, um mich zu verabschieden, aber sie knurrt nur und zieht die Decke enger um ihren Körper.
    »Lass nur, wir schlafen hier«, sagt der Müslimann.
    »Bis bald!«
    Während ich zur U-Bahn stolpere, geht gerade die Sonne auf. Die Gartenkolonie macht ihrem Namen alle Ehre, finde ich, zumindest um diese Uhrzeit ist es friedlich, so ganz ohne die Menschen.
    Im Zeitraffer zieht noch einmal der Abend vor meinem geistigen Auge vorüber. Und mein marillenbeschwipstes Hirn denkt darüber nach, wie ich eigentlich so lebe.
    Nun. Ich trinke meinen Kaffee vegan (ohne Milch) und gesund (ohne Zucker). Ich habe Ökostrom aber keinen Kompost, weil in der Küche kein Platz ist. Ich kaufe meine Kleider wenn möglich nicht bei Billig-Modeketten, sondern dafür seltener und gebe mehr Geld dafür aus. Die alten Kleider spende ich, und zwar an die richtigen Organisationen. Ich habe kein Auto, sondern benutze die öffentlichen Verkehrsmittel, und ich würde niemals an einen Ort fliegen, den ich auch mit der Bahn erreichen kann. Dass ich das wegen der Flugangst mache und nicht wegen des ökologischen Fußabdrucks, ist der Umwelt vermutlich auch egal. Ich putze meine Wohnung mit ökologischen Reinigern, aber bevor ich den Siphon vom Waschbecken leeren muss, weil er verstopft ist, schütte ich lieber chlorhaltigen Abflussreiniger in den Abguss. Ich mache keinen Sport, aber ich nehme immer die Treppe statt des Aufzugs. Ich kaufe manchmal im Bioladen ein, weil der Käsekuchen einfach viel besser schmeckt, wenn er mit Bio-Sauerrahm gemacht ist. Ich esse trotzdem mindestens einmal die Woche Tiefkühlpizza. Auf dem Bett, vor dem Fernseher.
    Als ich an der Haltestelle ankomme, leuchtet die elektronische Anzeigetafel. Noch neun Minuten bis die nächste Bahn kommt. Ich setze

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