Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
sowie auch mit Vorurteilen von Migranten gegenüber den Deutschen und ihrer Sprache.
Last but not least : Meine Tätigkeit als Hochschullehrer für Slavistik und Südosteuropa-Linguistik von 1981 bis 2013 an den Universitäten Berlin, Göttingen, Konstanz, Erfurt und Leipzig hatte mit den slavischen und den Balkansprachen zu tun, mit ihren vielfältigen Kontakten und Konflikten in Geschichte und Gegenwart, die die Sprachen miteinander verbinden und sie gleichzeitig verändern. Ich habe Südslavistik und Balkanlinguistik unterrichtet,lange Jahre auch Kurse in bulgarischer, makedonischer und albanischer Grammatik gegeben. Seit einiger Zeit befasse ich mich mit den Grundzügen des Persischen und Arabischen â teils aus Neigung, teils aus Interesse für die aktuellen politischen Bewegungen. Sprachkontakte waren deshalb nicht nur ein vollkommen naturgegebener Faktor, sondern immer auch das Prisma, durch das auf die Sprachen und den Alltag gesehen wurde. Die Ausweitung des Horizontes auf Eurolinguistik und Migrationslinguistik musste dann irgendwann zu der Frage führen, wie denn die vielen neuen Sprachen auf das gesprochene Deutsch einwirken und welche Spuren sie auch in der eigenen Sprachpraxis hinterlassen.
Bestandsaufnahme und Status quo
Dieses Buch ist wohlgemerkt nur eine Bestandsaufnahme , ein Blick des geschulten Linguisten auf den deutschen Status quo, so, wie er sich jetzt vor der Folie der Forschungslage und der eigenen Erfahrung darbietet. Aufgrund der letztlich noch mangelhaften Forschungssituation ist etwas anderes zur Zeit noch gar nicht möglich. Es gibt keine gröÃeren Textkorpora mit Material, keine feldforscherischen oder soziolinguistischen Projekte, die aufschlussreiche Daten zum Einfluss der Migrantensprachen auf das Deutsche oder zum Migrantendeutsch liefern oder die unübersehbaren Veränderungen im Deutschen vollständig und ohne Relativierungen behandeln würden. Ja, es gibt noch gar keine ernsthafte Korrelation zwischen Politik, Mehrsprachigkeit und sprachlicher Veränderung. Der Linguist Volker Hinnenkamp beschreibt die Lage so:
«Die Sprachwissenschaft im deutschsprachigen Raum hat bisher nur wenige der gegenwärtigen migrationsspezifischen Sprachkontaktkonstellationen des Deutschen dokumentiert und analysiert. (â¦) Wenig[er] Beachtung fanden (â¦) die Veränderungen der mitgebrachten Sprachen in Deutschland, die Entwicklung der Zweisprachigkeit (â¦), die zweisprachigen Kommunikationspraktiken der Migranten (â¦) sowie die Vielfalt (â¦) und Konsequenzen von Mehrsprachigkeit .» (Hinnenkamp/Meng 2005, 9, letztes Kursiv U. H.). Genau um diese Konsequenzen, die sich für das gesprochene Deutsche ergeben haben, geht es aber, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sie bis heute ein weiÃer Fleck auf der Landkarte der deutschen Linguistik geblieben sind.
Es gibt daher auch keine groÃen Untersuchungen zur jüngsten deutschen Standard-Umgangssprache und ihren inneren und äuÃeren Verwerfungen, wie sie so sorgfältig und engagiert in anderen Ländern erarbeitet worden sind, z.B. von Elena Zemskaja für das Russische (â¹ razgovornaja reÄâ ⺠â¹Umgangsspracheâº), von Olga Müllerová für das Tschechische (â¹ obecná ÄeÅ¡tina ⺠â¹Gemeinspracheâº) oder von Jan Mazur für das Polnische (â¹ jÄzyk potoczny ⺠â¹Alltagsspracheâº). Bezeichnenderweise liegt ein sage und schreibe 48-Stunden-Korpus zum Jugendslang und zum sogenannten â¹Kiezdeutsch⺠vor, aber es gibt keines der spontan gesprochenen deutschen Umgangssprache von Migranten und Deutschen, an dem der neue, kontaktbedingte Sprachwandel und der Einfluss der Mehrsprachigkeit wirklich studiert und belegt werden könnte. Es gibt auch keine einschlägigen Studien, die die sprachlichen Interferenzen , d.h. die direkten Ãbernahmen aus dem Türkischen, Arabischen oder Russischen wirklich eingehend analysierten. Keine theoretischen Entwürfe, die den Weg des Neudeutschen vor dem Hintergrund der Mehrsprachigkeit erhellten.
Und es gibt, und dies ist wohl das wichtigste Faktum, noch keine überzeugte Bereitschaft der linguistischen Zunft, wirklich über den Tellerrand der Disziplin hinaus zu sehen, über den Schatten der Zurückhaltung zu springen und ohne Scheuklappen auf den Ist-Zustand des gesprochenen Deutschen zu blicken. Sie gibt sich (noch) nicht den
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