Rendezvous mit Mr Darcy
1. K apitel
Sie hatte schon vor langer Zeit pinkfarbene Cocktails aufgegeben und trank stattdessen Tee.
Doch selbst nach ihrer Scheidung träumte Chloe Parker immer noch von einem romantischen Zeitalter, in dem eine Dame in Abendkleid und Handschuhen vergnüglich mit einem Gentleman in enger Reithose und Reitstiefeln scherzt, der, für sie entflammt, in einer Ecke des Salons steht.
Jetzt, da sie mitten auf dem Land mit ihren Koffern an der Rezeption eines Gasthofs im Tudorstil in England stand, hatte sie jedoch das Gefühl, etwas Stärkeres als Tee getrunken zu haben. War sie durch den Jetlag des achtstündigen Flugs von Chicago nach London noch so benommen oder vom Anblick der antiken Möbel und dem Duft nach Scones verzaubert?
Eine junge Frau in einem langen blauen Kleid, die eine Schürze und eine gerüschte Haube trug, trat auf sie zu und machte einen Knicks. »Ich bin während Ihres Aufenthalts hier Ihr Dienstmädchen, Miss Parker«, sagte sie mit monotoner Stimme, in der ein leichter Cockney-Akzent mitschwang.
»Ich heiße Fiona.«
Chloe bekam ein Dienstmädchen? Und wer sprach sie, eine neununddreißigjährige Frau, noch mit »Miss« an und knickste vor ihr? »Wie cool«, hätte Abigail, Chloes achtjährige Tochter, gesagt.
»Sehr erfreut«, antwortete Chloe stattdessen.
Wäre da nicht das Loch für den Ring ihres Piercings in der vollen Unterlippe gewesen, hätte man Fiona durchaus als hübsch bezeichnen können.
»Willkommen am Set, Miss Parker«, sagte sie ohne auch nur die Andeutung eines Lächelns. »Im England von Jane Austen. Oder sollte ich besser sagen, in Mr Darcys Derbyshire?«
Chloe wäre schon glücklich gewesen, in dessen Schweinestall willkommen geheißen zu werden, doch ließ sie diesen Gedanken nicht laut werden.
Fionas Blick glitt über Chloe. »Sieht so aus, als wären Sie schon fast passend für Ihre Rolle gekleidet.«
Chloe trug Schnürstiefel, einen langen Bleistiftrock und eine Piratenbluse. Sie kaufte in Vintage- und Secondhandläden ein, und den meisten Menschen fiel ihr eigenwilliger Kleidungsstil auf.
Fiona griff nach einem Generalschlüssel, der hinter ihr auf dem Tisch der Rezeption lag. »Freuen Sie sich, in unserer kleinen Scharade mitzuspielen?«
»Für mich wird mit dieser Dokumentation ein Traum wahr! Die Gelegenheit, für drei Wochen im Jahr 1812 zu leben? Ohne Computer, nur mit Kleidern, Bällen und Teegesellschaften. Das ist mein Vegas, mein – Brighton.«
Das Eis zwischen Herrin und Dienstmädchen schien für einen Moment gebrochen, auf Fionas Lippen deutete sich ein Lächeln an.
Man musste nicht wie Chloe mit elf Jahren Stolz und Vorurteil gelesen haben, um die große Bedeutung dieses Augenblicks auch nur zu erahnen. Mr Darcy war die erste Liebe ihres Lebens gewesen, auch wenn andere Helden von Austen bald folgten, doch dieser nahm seit achtundzwanzig Jahren einen besonderen Platz in ihrem Herzen ein – es war die längste Beziehung, die sie je mit einem Mann gehabt hatte, fiktiv oder real.
Sie war auch noch nie zuvor in England oder überhaupt im Ausland gewesen, wenngleich ihre Familie mütterlicherseits, durch deren Adern blaues Blut floss, aus England stammte. Chloe umgab sich mit allem, was mit Jane Austen und England zu tun hatte, von Kostümfilmen der BBC bis hin zu Cadbury-Schokolade. Sie hatte sogar ihrer Tochter den Namen Abigail gegeben, um sie »Abby« rufen zu können, nach den berühmten Klöstern in England – den Abbeys.
Doch Abigail mochte es nicht, »Abby« genannt zu werden. Sie nahm Unterricht in Hip-Hop, programmierte ihre eigenen Apps, filmte ihre eigenen Videos für YouTube und hatte sogar Chloes Bewerbungsvideo für diese Regency-Dokumentation gefilmt und hochgeladen.
»Ich bin müde und überfordert vom einundzwanzigsten Jahrhundert mit all den sozialen Netzwerken, Twitter-Nachrichten, E-Mails und SMS «, meinte Chloe zu Fiona. »Ich kann es kaum erwarten, ins 19. Jahrhundert zu fliehen und das Leben für eine Weile zu entschleunigen.«
»Schön.« Fiona streckte ihre zarten Arme nach Chloes Koffern aus. »Zeit, nach oben zu gehen, um Sie für Ihre Kutschfahrt nach Bridesbridge Place, Ihrem Aufenthaltsort für die nächsten Wochen, umzuziehen. Darf ich Ihr Gepäck hochtragen?« Ihr ausgestreckter Arm gab den Blick auf ein keltisches Ringtattoo um ihr Handgelenk frei.
Chloe schoss der Gedanke durch den Kopf, dass Fiona vielleicht etwas verärgert darüber war, dass man ihr die Rolle des Dienstmädchens gegeben hatte und sie
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