Muttersoehnchen
niemand dafür zuständig. Es passiert nichts, bis ich es wutentbrannt zum örtlichen Fahrradhändler schiebe und ihn bitte, auch gleich nach allem anderen zu schauen. So verdecke ich, wie dekadent ich es eigentlich finde, dass wir einen platten Reifen in die Reparatur geben. Aber ich brauche das Rad, seit die Kinder Auto fahren können, wieder häufiger. Bei den Kondomen war ich mir nicht sicher, ob Maik sie schon brauchen konnte, tippte aber auf nein, weil mir das sympathischer schien. Und bei den Ravioli musste ich ihn ermahnen, nicht die Dose in die Mikrowelle zu stellen, erst recht nicht die ungeöffnete. Die Pflaster aber waren der zentrale Inhalt, sie brauchte er wenige Monate nach dem Geburtstag, als seine erste feste Freundin ihm zu verstehen gab, wie recht es ihm geschähe, dass sie ihn nun verlassen würde.
Mein Bruder Falk ist ein ganzer Kerl. Er sah recht früh schon so aus, und er roch auch so. Meine Mutter musste ihm sehr lange sagen: »Geh und wasch dich.« Als politisches Statement trug er die Haare lang und aus Bequemlichkeit kämmte er sie nie. Haarspray war ihm zuwider. Als Mädchen interessant wurden, wusch er sich für sie, um es wieder dranzugeben, wenn er nicht mehr verliebt war. Maik wünschte sich indes zum elften Geburtstag, ohne Blick auf ein Mädchen, einen Friseurtermin. Na gut, nun bin ich Friseurmeisterin und verstehe sein Begehr nach Abwechslung vom mütterlichen Haarschnitt. Als er wiederkam, war es um ihn geschehen: Er trug das Haar kurz und das Gel darin mit Stolz. Seitdem benutzt er es täglich.
Für Falk waren Sportarten ohne Ball Weiberkram. Selbst Schwimmer und Leichtathleten beäugte er argwöhnisch: Warum rackern die sich allein ab? In der Gruppe gegen andere anzutreten,
erschien ihm deutlich reizvoller. Spätestens mit 16 musste er dringend Moped fahren und es trotzdem hinkriegen, bis zu seinem 18. Geburtstag auf ein Auto zu sparen. Dafür stellte er sich in den Ferien regelmäßig bei VW ans Band und ließ sich von den gestandenen Arbeitern als verwöhntes Jüngelchen verspotten, wobei er lernte, sich dem Akkord zu stellen und sich in den Pausen zu behaupten.
Maik fand das Geschenk seines Onkels lustig. Darüber hinaus hatte es nicht viel mit ihm zu tun. Er ist als Teenager ganz anders als mein Bruder, nur in der Kleine-Jungs-Perspektive scheinen sie sich zu ähneln. Da war mein Sohn fasziniert von allem, was rollt, blinkt, piepst und sich dreht. Maik hatte in der einen Hand ein Auto und die andere in der Hosentasche, wo er sich sein Gemächt kraulte; das beruhigte, wenn er schwer nachdenken musste. Und ohne Bagger ging er grundsätzlich nicht aus dem Haus. Jede Puppe verwendete er bloß als Dummy für einen Crashtest, so oft wir ihm das Füttern, Wiegen und Wickeln auch zeigten. Er fuhr waghalsig Roller, früh Fahrrad ohne Stützräder und kannte auch beim Schwimmen keine Angst. So habe ich auch meinen Bruder in Erinnerung. Nur im Klettern war Maik im Nachteil, was aber daran lag, dass geeignete Bäume unerreichbar waren, weil sie auf privaten Grundstücken wuchsen. Denn die in Spielplatznähe wurden von der Gemeinde vorsorglich gefällt, um der Verletzungsgefahr vorzubeugen und Haftungsansprüche auszuschließen.
Jede Gefahr, die jemand anderes für mich bannte, war mir eine Erleichterung. Theoretisch mochte ich das Bild vom wilden Jungen, in der Praxis bevorzugte ich sicheres Terrain. Ich sehnte den mutigen Jungen herbei und hatte gleichzeitig Angst vor den Risiken, die ganz oft gar keine waren. Aber solange ich eingreifen konnte, hatte ich noch eine Aufgabe.
»Aupa!« war eines von Maiks ersten Worten. Seine Abkürzung für: Aufpassen!
Den Michel aus Lönneberga, der sich unerschrocken den Herausforderungen der Welt stellt, konnte ich nicht aushalten. Die Erwachsenen in Småland betrachteten sein Engagement als Unfug, für das sie ihn bestrafen mussten, nicht als Gefahr. Wenn er
die Mausefalle unter dem Esstisch deponierte, in die dummerweise sein Vater trat oder ihn versehentlich ins Toilettenhäuschen einsperrte, heckte er keine hinterlistigen Streiche aus, sondern wollte einfach nur hilfsbereit sein. Aber die Großen verstanden das nicht und deshalb sperrten sie Michel nur immer in den Schuppen. Und weil es so oft passiert, hat er dort schon Holz und ein Messer deponiert, damit er Männchen schnitzen konnte.
Heute gibt es kaum noch Schuppen, aber Kinderpsychologen und das Jugendamt.
Den Buchtitel Michel muss mehr Männchen machen übersetzte ich ohnehin
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