Muttersoehnchen
und zieht sein Morgenprogramm wie gewohnt durch. Er erreicht die Schule fein duftend, aber deutlich zu spät. Das krawallige Liedgut entfällt.
Maik kann viel schneller laufen als sich fertig machen, einen Parkplatz findet er um diese Zeit auf die Schnelle ohnehin nicht und trotzdem entscheide ich mich für Möglichkeit zwei, was ein klares pädagogisches 1:0 für ihn ergibt. Mein Ruhebedürfnis ist enorm groß geworden und heute bin ich auch noch froh, dass ich nicht ins Gefängnis muss. Zum Glück hat Lysa – meine Tochter – das Bad schon freigegeben.
Die Generation Golf pflanzt sich fort. Nur ein paar aus der Bildungs- und Lifestyleelite haben dem Gedanken an Kinder abgeschworen,
andere überlegen noch. Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr. Aber mit Entscheidungen tat sich diese Generation schon immer schwer. Florian Illies hat es in seinem Buch präzise beobachtet, inzwischen hat die Realität seine Beobachtungen sogar noch überholt. Das liegt daran, dass diese Männer und Frauen noch mehr Übung darin bekommen haben, sich alles so zurechtzulegen, wie es ihnen in den Kram passt. Die Golffahrer sind auf den Golfplatz gewechselt. Sie haben die Generation der Babyboomer abgelöst, die Jahrgänge stetig steigender Geburtenraten zwischen 1950 und 1965, deren Eltern noch ohne Familienplanung auskommen mussten. Illies hat die Nachgeborenen beschrieben, deren Mütter bereits die Pille hätten nehmen können. Er beschreibt die Wunschkinder, eben seine eigene Generation. Und fast schon meine.
Anfang der 90er sind wir große, starke Mädchen geworden und haben es nicht einmal gemerkt. Wir waren ehrgeizig im Beruf, liberal in unseren Anschauungen und maßlos im Konsum. Wir wollten das eine tun und das andere nicht lassen. Wir sahen Zeugung, Schwangerschaft und das Gebären als Leistung, als ehrgeiziges privates Projekt, dem wir uns freiwillig eine zeitlang zuwendeten. Dafür wollten wir mindestens genauso viel Applaus wie für unsere Karriere. Während bei der Arbeit schon mal die Anerkennung von Kollegen ausreicht und uns das Lob vom Boss einen seltenen Höhepunkt beschert, muss es hier das große Publikum sein: Eltern, Freunde, Bekannte und die Nachbarn sollten jedem Zentimeter Bauchumfang freudig applaudieren und damit unserem Entschluss, im Hier und Jetzt eine Familie zu gründen. Wenn wir uns denn schon mal dazu durchgerungen haben, möge es die ganze Welt bemerken. Das waren wir von klein auf so gewohnt. Alles andere verunsicherte uns.
Wir sind aufgewachsen mit weiblichen Vorteilen und männlichen Ansprüchen. Die Fußstapfen, in die wir treten konnten, waren so gut vorgezeichnet, dass wir viele feministische Errungenschaften im privaten Miteinander nicht mehr als solche erkannt haben. Sie waren vorrätig wie lila Latzhosen. Aber die mussten wir nicht mehr anziehen, um als tough erkannt zu werden.
Das ging auch mit Flower-Power-Kleidern, mit Okölatschen, Jeans und Parka. Oder im Gegenentwurf mit Kaschmirpullover, geerbter Perlenkette und Nikituch. Hippie oder Yuppie? Beides stand zur Disposition und auch das Recht zu wechseln, ohne Angabe von Gründen. Nur die, die sich an John Travoltas »Saturday Night Fever« hielten, hatten sich disqualifiziert: Ein aufgebrezelter Style und emanzipatorisch schlaue Gedanken schließen einander aus, fanden wir.
Die Jungs redeten wir in Sozialkunde an die Wand und rechneten sie in Einzelfällen auch schon in Mathe unter den Tisch. Wir gaben ihnen Pausenbrote und Hausaufgaben, wenn sie dafür unsere alten Mofas reparierten oder versprachen, uns nach Hause zu bringen. Wir konnten hemmungslos weinen, wenn sie uns im Sport mit dem Medizinball erwischten, damit sie inständig um Entschuldigung baten. Wir konnten aber auch tapfer sein, ganz nach Bedarf.
Nach dem Abitur machten wir selbst Karriere und/oder heirateten einen Mann, der das schaffte. Im Unterschied zu unseren Müttern hatten wir mehrere ernsthafte Optionen. Das erachteten wir als selbstverständlichen, aber vorübergehenden Vorteil. Wir wussten, dass die Jungs uns überholen würden, wenn wir eine Familie gründeten, denn wir hatten davon gehört, dass die Vereinbarkeit von Kindern, Küche und echter Karriere nicht einfach sei. Und in der Tat: Halbtagsstellen gab es kaum, keinen Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze, und die gesetzlich geregelten Erziehungszeiten mit Elterngeld wurden gerade erst ausgebaut. Heute wird die großzügige Elternzeit auch gern als Reisezeit genutzt. Wenn sich die besser Verdienenden unter
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