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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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Misstrauens huschte über ihre Gesichter.
    Die Tür quietschte, als er eintrat. Propangaslampen, die von der Decke herunterhingen, erleuchteten das Innere des Ladens nur schwach. Der Sturm musste die Stromversorgung unterbrochen haben. Eine Frau in Jeans und grüner Regenjacke stellte einen Liter Milch und ein halbes Dutzend Eier auf die Theke vor einen dicken Mann mit ölig schwarzem Haar und dürftigem Bart. Die Frau wandte sich um und klopfte sich mit dem Finger an die Lippen, als überlegte sie, ob sie etwas vergessen habe.
    Selbst in dem Halbdunkel, das hier drinnen herrschte, sah sie noch eindrucksvoll aus – ungefähr ein Meter achtzig groß, schlank, mit schläfrigen, ovalen Augen, breiten, hohen Wangenknochen und einer rotbraunen Haarmähne, die ihr auf die Schultern fiel und Gallagher an die Bluesdiva Bonnie Raitt erinnerte. Mit der kraftvollen Eleganz einer durchtrainierten Athletin glitt sie vom Tresen fort. Als sie in den Gang mit den Broten trat, warf sie Gallagher einen Blick zu, und einen Augenblick lang raste sein Herz. Diese Reaktion überraschte ihn; es war schon sehr, sehr lange her, dass er etwas stark empfunden hatte. Doch im nächsten Moment schüttelte er das Gefühl schon wieder als den normalen hormonellen Reflex ab, den jeder erwachsene Mann zeigen würde, der fast achtzehn Monate zölibatär gelebt hatte.
    »Was darf’s sein, mein Herr?«, fragte der dicke Mann hinter dem Tresen mit dem breiten Akzent der Vermont-Berge. Seine Haut sah ungesund wächsern aus. Seine Augen waren schiefergrau; sie wanderten unruhig umher und vermieden es, ihn direkt anzusehen.
    »Ich bin fremd hier«, setzte Gallagher an.
    »Das sehe ich«, meinte der Mann und kratzte sich skeptisch den Bart.
    »Ich suche eine Unterkunft für ein paar Tage und einen Angelplatz«, fuhr er fort. »Gibt es hier in der Gegend Hütten zu vermieten?«
    Der Mann verzog den Mund, als hätte er etwas Ranziges gegessen, dann schüttelte er den Kopf. »Nee, so was gibt’s hier in Lawton nicht.«
    »Ich habe eine Hütte zu vermieten«, sagte eine sanfte, kehlige Stimme.
    Als Gallagher sich umwandte, stand die Frau vor ihm und musterte ihn aufmerksam. Sein Herz begann wieder spürbar zu klopfen. Aus der Nähe sah er, dass sie eine anmutig geschwungene Nase, volle Lippen und tiefbraune Augen besaß. Aber sie hatte weder das frühe Grau in ihrem Haar getönt noch Make-up aufgelegt, um die beginnenden Falten in ihrem Gesicht zu überdecken. Sie war Mitte dreißig und von einer natürlichen Schönheit; doch über ihrer ganzen Erscheinung lag ein Hauch von Melancholie, der sie älter wirken ließ, als hätte sie schon eine Menge durchgemacht in ihrem Leben und mehr harte Zeiten erlebt, als sie verdiente.
    »Prima«, sagte Gallagher und warf dem Mann hinter der Theke einen vorwurfsvollen Blick zu, während dieser die Frau finster anstarrte.
    »Ich glaub zwar selbst nicht dran«, fuhr sie fort, »aber viele, die in der Hütte übernachtet haben, behaupten, es spukt darin. Ich sag das den Interessenten immer gleich zu Anfang, weil sie es früher oder später doch von irgendeinem Deppen in der Stadt hören. Stimmt’s, Bernie?«
    Das Gesicht des Ladenbesitzers rötete sich, und sein Blick verfinsterte sich noch mehr. »Wenn du meinst, Andie.«
    »Wie weit ist es zum Bluekill River – von der Hütte aus, meine ich?«, fragte Gallagher.
    »Fünfzig Meter.«
    »Ich nehm sie.«
    Sie zog belustigt eine Augenbraue in die Höhe. »Warum fahren Sie nicht hinter mir her und sehen sie sich erst einmal an, bevor Sie den Scheck ausstellen, Mr. …?«
    »Gallagher. Patrick Gallagher.«
    Sie streifte ihn im Vorbeigehen und legte ein Brot auf die Theke. »Ich heiße Andromeda Nightingale. Die meisten Leute hier nennen mich Andie.«
     
    »Ein freundlicher, hilfsbereiter Typ, dieser Bernie«, sagte Gallagher und nickte in Richtung des Ladens zurück, während Andie Nightingale ihre Einkäufe auf dem Vordersitz ihres bejahrten blauen Toyota-Pick-ups verstaute. Der Regen hatte nachgelassen, doch der Wind war immer noch so stark, dass sich das rostige Coca-Cola-Schild vor dem »Otterslide General Store« quietschend in seinen Scharnieren bewegte.
    Sie zuckte die Achseln. »Die Leute in Vermont sind Fremden gegenüber nie gleich freundlich, vor allem solche Typen wie Bernie Chittenden nicht«, erklärte sie sachlich. »Folgen Sie mir. Die Hütte liegt ein paar Meilen weiter an der River Road.«
    Gallagher lief zu seinem Explorer zurück und ließ den Motor an.

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