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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Lebens los, wer einem das vorausgesagt hätte! Er meinte wohl, daß er sich im Jahr darauf wirklich von seiner Frau scheiden ließ, daß er nach Berlin zog und an seiner Karriere zu arbeiten begann, das verstand ich alles. Nur wunderte ich mich, daß auch er unseren Silvesterabend in seiner Erinnerung »glücklich« nannte. Aber noch mehr verwirrte es mich, daß er es ehrlich meinte. Auch wenn er nicht, wie damals, immerzu wiederholte: Das ist mein heiliger Ernst. Er hatte seinen Wortschatz auf das Niveau der Hauptstadt gebracht. Trotzdem sagte er mir am Schluß, sogar nach unserer Verabschiedung: Sie war ein seltener Mensch, und weil er dabei verlegen war und weil er so etwas in den Redaktionen, die ihm seine Manuskripte abnahmen, nicht sagen würde, nickte ich.
    Günter war auch angereist gekommen, und ich kann mir bis heute nicht denken, daß Christa T. so überrascht war, wie sie tat. Es stellte sich heraus, daß Günter unverheiratet geblieben und daß die Verbindung zwischen ihm und Christa T. nie abgerissen war.
    Werd nicht wieder ohne Grund eifersüchtig, sagte sie zu Justus, wie du das an dir hast.
    Da seht ihr es, sagte Justus zu uns, so ist sie nun.
    Sie konnten über sich lachen, Christa T. war obenauf. Alle waren so freundlich zu Günter, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, und mehrmals nahe daran war, zu versichern, daß unsere gute Laune nicht sein Verdienst sei. Übrigens war er Schulleiter in seiner Heimatstadt.
    Wir müssen ein bißchen auf ihn aufpassen, sagte Christa T. zu mir, er wird sich mit Blasing streiten wollen. Der Streit kam nicht recht zustande, trotzdem ist mir, als hätte er stattgefunden. Ein, zwei Jahre später wäre er unvermeidlich gewesen, damals war er noch nicht reif, aber Christa T. hat ihn schon heraufziehen sehen. Sie war eine Frau geworden, die einen Haushalt führte, Gäste an sich zog und dafür sorgte, daß zwischen ihnen kein Streit ausbrach. Was ist aus uns geworden, dachten wir. Das Staunen stimmte uns weicher, man konnte weich sein, ohne sentimental zu werden. Wir hatten auf einmal Spaß daran, den Tisch kunstvoll zu dekorieren, die Platten zurechtzurücken, Kerzen anzuzünden. Die Fenster, gegen die der Sturm Schneeböen fegte, waren mit Decken verhängt. Christa T. brachte den zerlegten Wildschweinbraten herein.
    Aber man darf nicht den Eindruck erwecken, als seien es die Kerzen und der Wein und der Braten gewesen, es war etwas anderes und ist nicht leicht zu schildern. Immerhin möchte ich behaupten, eine solche Versammlung, in einem solchen Geist, könnte nicht wieder stattfinden, weil dieses schwebende Gleichgewicht, das wir alle wie eine leichte Trunkenheit empfanden, sich schwerlich ein zweites Mal einstellt. Es ist an Unbefangenheitund eine harmlose Form von Selbstüberhebung gebunden, und vor allem verträgt es nicht, wenn man es herbeiwünscht. Wir nahmen es einfach als unser Verdienst, da hielt es sich. Wir glaubten ja alle, das Schlimmste hinter uns zu haben, auch das Schlimmste mit uns selbst, wir waren so sicher, daß unter dem Zeugnis für unsere Lebensprüfungen einst »bestanden« stehen würde ...
    Wir begannen, über unsere Erinnerungen zu verfügen. Wir entdeckten auf einmal – keiner von uns älter als fünfunddreißig –, daß es schon etwas gab, was den Namen »Vergangenheit« verdiente. Wir meinten aber, was alle betrifft, kann einem selbst nicht so viel anhaben. Die Frauen zeigten Bilder herum: Herrgott, diese Löckchen, diese langen Glockenröcke, diese Kämmchen im Haar! Und wie ernst wir waren! Wir lachten über unsere frühere Ernsthaftigkeit.
    Weißt du noch, sagte Christa T. zu Günter, wie du Frau Mrosow beweisen wolltest, daß das Schicksal von Schillers Luise uns auch noch betreffen kann? Ich hatte Angst, sie könnte zu weit gegangen sein, denn ich war sicher, daß Günter seit damals nie wieder mit einem Menschen über diese Stunde, über die blonde Inge, über Kostja und seine unglückliche Liebe gesprochen hatte. Aber jetzt nickte er nur und lächelte, Christa T. fand immer genau den Augenblick, wann man über etwas sprechen mußte, was einen Tag früher noch zu schmerzhaft, einen Tag später bloß langweilig gewesen wäre. Ich seh mich noch in der Versammlung stehen, sagte Günter, einen bedrippteren Pudel hat es nie gegeben.
    So, auch das hätten wir hinter uns. Günter hob sein Glas und trank auf Christa T. Sie errötete, aber sie ziertesich nicht, und wir begriffen auf einmal alles und waren ein wenig gerührt, wir

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