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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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schließen läßt, hat aufzuhören. Nun muß er vergessen, was er – oder etwas in ihm – zu wissen begonnen hatte. Mit dieser Art Wissen geht mannicht unter die Leute. Man läßt es hinter sich und dreht sich nicht um.
    Es hat mich mitgenommen, sagt man rückblickend vielleicht. Jeder nickt, jeder glaubt zu verstehen. Aber keiner weiß, wovon sie spricht. Du hast es ja geschafft, siehst du. Da hat sie sich angewöhnt, die Augen niederzuschlagen. Sie schämt sich der Erfahrung, die sie absondert: daß nicht jedes Ding jederzeit zu »schaffen« ist.
    Was hast du nur? kann man sie fragen, wenn sie sich noch nach Wochen wild weinend über ihr Bett wirft. Nichts. Die Schwäche.
    Ach, sie hat wohl gewußt, daß es schade um sie war. Sie hat wohl Respekt vor sich bekommen und auch Respekt vor der Kraft, die gegen sie war. Eins maß sich am anderen. Ebenbürtig. Ausgang ungewiß.
    Sie hat in Büchern nachgeblättert, den neuen Namen gesucht, den sie ihrer Krankheit gegeben hatten, fand ihn auch, schrieb ihn mir, gegen ihre Gewohnheit: Panmyelophthise, schrieb sie. Führt fast immer zum Tode. Aber muß ich dir das nun wieder vorreden? Doch wem sonst ... War Unsinn, daß ich nachgesehen hab ...
    Allmählich aber lagert sich die Täuschung über die Gewißheit, und wir alle tun unser Bestes, die Täuschung in ihr und in uns zu nähren. Und das würden wir wieder tun, wenn Täuschung ein anderes Wort für Hoffnung ist. Merkwürdigerweise müssen wir nicht glauben, was wir wissen. Justus hat es mir bestätigt. Er hat zugegeben, daß er das Wort »unheilbar« gehört und wieder vergessen hat. Mit einem dummen, bösen, sinnlosen Zufall im Nacken kann man nicht leben.
    Christa T. kam in ihr Haus, in das man ohne sie eingezogen war. Sie steckte Vorhänge auf, räumte Schränke ein, begann ihren Gemüsegarten anzulegen.
    Nachts, wenn Justus zur Jagd war, saß sie oft allein.
    Die Luft war dann voller Gänsegeschrei. Manchmal, selten, schrieb sie einen Brief, oft las sie oder hörte Musik. Der Mond kam über dem See hoch, sie konnte lange am Fenster stehen und zusehen, wie er sich im Wasser spiegelte. Das Kind bewegte sich. Es kam vor, daß sie ruhig an die Zukunft dachte, an die Geburt des Kindes, an sein Leben. Sie wußte, warum sie stärker als bei den anderen Kindern dieses Kind schon in ihrer Phantasie zu sehen wünschte, ehe es geboren war. Warum sie wünschte, alles über es zu wissen. Ihr kam es wunderbar vor, daß sie auf der Welt war, daß man auf der Welt ist. Daß sie die Hand heben konnte, um ihr Haar zurückzustreichen, wenn sie es wollte, das kam ihr wunderbar vor. In diesem Haus zu stehen, vor dem nächtlichen See, wie sie es geträumt hatte, war wunderbar. Träumte sie es denn jetzt? Oder erinnerte sie sich, viel später, an diese Nacht? Was gewesen war und was vielleicht niemals sein würde, floß zusammen und machte diese Nacht. Das war so einfach, so verständlich und wirklich. Da war nichts zu bedauern und nichts zu bereuen.
    Sie stand und wußte, daß sie sich an sich selbst erinnerte, wie niemand später sich an sie erinnern würde. So ist das, dachte sie erstaunt, so kann das sein.
    Wollen wir es doch kurz machen.
    Das Kind, ein Mädchen, wurde im Herbst geboren und war gesund. Ich glaube, daß Christa T. insgeheim an der Gesundheit des Kindes gezweifelt hatte und daßsie erleichtert war. Und daß sie es als Pfand nahm, als Lebenspfand. Als Erneuerung eines alten Bündnisses, auf das sie sich von nun an wieder verlassen wollte. So hat sie es als Treuebruch empfunden, als sie wieder zusammenbrach.
    Der Blick, mit dem sie sich vom Auto aus nach den Kindern umsah, soll ein Abschiedsblick gewesen sein. Es wiederholt sich, was sich nicht wiederholen darf. Wiederholen, wieder zurückholen ... Die Worte haben alle einen doppelten Sinn, einen aus dieser, den anderen aus jener Welt. Sie ist stiller und fragt weniger als beim erstenmal, ungefragt ermutigt man sie stärker: Sie schaffen es, das wissen Sie ja. Manchmal blickt sie lange auf die vergoldete Kirchturmspitze, die sie von ihrem Bett aus sieht. Wenn es zu lange dauert, greift sie schnell nach einem Buch. Sie liest gierig. Sie nimmt die Gewohnheit wieder auf, Sätze, Zeilen zu notieren. Als letztes steht in ihrem Notizbuch ein Gedicht:
    Wozu so teuflisch sich zerquälen?
    Nie mehr gescheh, was da geschah:
    Das Nahsein der sich fremden Seelen,
    das Fremdsein derer, die sich nah ...
    Endlich! schreibt sie an den Rand, und das heißt soviel wie: Jetzt stirbt man

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