BETA (German Edition)
Erstes Kapitel
S ie will mich kaufen.
Eine elegante Dame ist in unsere Boutique auf der Insel gekommen, angeblich weil sie ein Strickjäckchen sucht, das sie sich abends auf der Terrasse um die Schultern legen kann, aber sie kann die Augen nicht von mir lassen. Sie trägt einen Hosenanzug aus fließender cremeweißer Seide, der ihr auf den Leib geschneidert ist. Überall glitzern Diamanten. Ihre Figur hat die Maße eines Models, wohlgeformter Busen, Wespentaille. Das faltenlose Gesicht schimmert rosig, und obwohl sie nicht mehr ganz jung ist, hat sie einen makellosen Teint. Die schulterlangen kastanienbraunen Haare sind zu der in ihren Kreisen üblichen Lockenmähne frisiert. Ihre glatten Hände perfekt manikürt, an den Fingern trägt sie Ringe mit kostbaren Steinen. Sie sieht aus, als würde sich eine Stylistin rund um die Uhr um sie kümmern, damit sie immer schön ist, jederzeit. Sie wird von zwei männlichen Bodyguards begleitet, die groß, blond, braun gebrannt und wie Bodybuilder gebaut sind. Beide haben glänzende fuchsiafarbene Augen, und eine violette Schwertlilie ist auf ihre rechte Schläfe tätowiert, so wie bei mir.
Mit ihren blassen Händen betastet die elegante Dame ein blassblaues Kaschmirjäckchen, um die Qualität zu prüfen, aber ihre Augen sind weiter auf mich gerichtet. Mit ihren Blicken prüft sie meine Qualität. »Ist sie zu haben?«, fragt sie schließlich Marisa, die Inhaberin der Boutique. Ihre Stimme ist hoch und leise, wie die eines jungen Mädchens, und sie stellt die Frage ruhig und eher beiläufig, als würde sie lediglich der Verlockung nachgeben wollen, ein riesengroßes Stück Sahnetorte zu kaufen, sehr kalorienhaltig, aber ein unwiderstehlicher Genuss. Marisa, die auf Demesne nur mit den luxuriösesten Luxusgütern handelt, nickt unmerklich. Dieser Laden verkauft Kleidung – und menschliche Wesen.
Wenn wir denn Menschen genannt werden können. Die Menschen hier auf Demesne nennen uns ›Klone‹. Ich selbst nenne mich bei dem Namen, den Dr. Lusardi mir bei meiner Erschaffung gegeben hat – Elysia.
Ich wurde erst vor ein paar Wochen erschaffen. Ein Mädchen, sechzehn Jahre alt. Ich weiß nichts von meiner First, dem Mädchen, von dem ich geklont wurde. Und ich werde auch niemals etwas von ihr erfahren. Denn damit ich erschaffen werden konnte, musste sie bereits tot sein.
Wir befinden uns in einem Hinterzimmer, nur ich, die elegante Dame und Marisa. Keine Bodyguards, keine weiteren Kundinnen, keine anderen Klone. Die Wände des Zimmers sind strahlend weiß. Die rein weißen, uns vor allen Blicken abschirmenden Vorhänge vor dem Fenster blähen sich in der lauen Brise vom Meer, die den Raum mit der kostbaren sauerstoffangereicherten Luft von Demesne füllt. Es herrschen der Frieden und die Stille, für die diese Insel in der Südsee überall berühmt ist. Zieht man die Vorhänge beiseite, hat man einen weiten Blick hinaus auf die Gewässer des Meeres von Ion, die unsere Insel umgeben, sanft sich kräuselnde Wellen von einem tiefvioletten Blau. Warum die Gewässer von Ion so anders sind als anderswo, warum sie sich so anders anfühlen, wie immer wieder erzählt wird, weiß ich nicht, und ich muss es auch gar nicht begreifen, weil es nämlich mit Gefühlen zu tun hat und nicht mit Logik. Manche Menschen geben all ihre Ersparnisse aus, um nur einmal die Luft von Demesne atmen zu dürfen und um nur einmal in den Gewässern von Ion zu baden. Mich könnte man mit Haut und Haar in das geheimnisumwobene tiefblaue Wasser eintauchen, und doch wäre die Wirkung auf mich gleich null.
Ich habe nämlich keine Seele.
Die elegante Dame betastet mich, als wäre ich eine Mango auf dem Markt. Sie berührt mich und fährt mit dem Daumen über meine Haut, erst am Arm, dann am Oberschenkel. Sie drückt mit den Händen gegen meinen Rücken, um meine Kraft und Elastizität zu prüfen. Danach streicht sie mit ihren Händen durch meine Haare.
»Ein wirklich exquisites Exemplar«, sagt die elegante Dame.
Marisa versucht sie zu warnen. »Mrs Bratton, in Ihrem eigenen Interesse muss ich sichergehen, dass Sie mich auch richtig verstehen. Es handelt sich hier um eine Beta-Version. Dr. Lusardi hält die Teenager-Kollektion noch nicht für völlig ausgereift.« Marisas Hand berührt meine Schulter und schiebt meine Haare beiseite, sodass die Kundin auf meinem Nacken das mit einem Laser eingebrannte Tattoo sehen kann. In violetten Großbuchstaben steht dort: Beta .
»Ich nehme an, das wirkt sich auf den
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