Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
kahlen Felsen, von denen man über Mais, Schafe und Wüste blicken konnte. Aber in Queenies Heimat gab es nicht Schafe, sondern ungesattelte Pferde und schwarze Rinder, nicht Mais, sondern ein paar Kartoffeln oder Korn, und die Hütten waren nicht aus Lehm, sondern aus Holz; sie standen auf den Hügeln oder in den Tälern, die das harte Büschelgras bewuchs. Die Freundschaft der beiden Mädchen war etwas Neues; sie wußten es und freuten sich daran. Ihre Stämme, Büffeljäger und Maisbauern, wohnten weit voneinander entfernt und dennoch verunglimpften sie einander auch jetzt noch, wie es vor Jahrtausenden die Nomaden und die Ackerbauern taten, obgleich die Büffeljagd längst der Vergangenheit angehörteund von Kriegen nicht mehr die Rede war.
    Ella hatte ein eigentümlich flaches Gesicht, als ob Stirn, Mund, Augen, Nase ein einziges bildeten. In Queenies Zügen schied sich alles deutlicher.
    »Das Merkwürdige bleibt«, sagte Ella, ihre Gedanken abschließend, »daß bei dir alles so verschieden ist und doch in Harmonie.«
    Die Mädchen verständigten sich englisch, denn keine kannte die Stammessprache der anderen.
    Queenie hatte die Decke beiseite geschoben und sich zusammengekuschelt wie eine junge Katze. »Du siehst es nicht richtig, Ella. Bei mir ist nichts verschieden. Es ist alles eine Einheit, weil es alles in der Mitte ist… durchschnittlich, würde Mister Lazy Eye sagen, weil er nicht weiß, was das ist, eine Mitte. Ich bin ein mittleres Mädchen, mittelgroß, unauffällig, weil mein Körper und meine Glieder und meine Augen eben so sind, wie sie nach den Maßen sein sollen – mittelbegabt, weil ich das sehe, was ein Mädchen der Prärie seit vielen hundert Sommern und Wintern eben zu sehen und zu erkennen pflegt, und weil ich imstande bin, die genaue Hälfte von dem zu begreifen, was die weißen Männer und Frauen uns erzählen. Vielleicht kommt es auch daher, daß mein Vater eine mittlere Ranch hat, in der sich alles die Waage hält, das Vieh, die Pferde, die Kartoffeln, das Gärtchen, die Mutter und die Kinder. Ich habe nicht viel und auch nicht wenig gelernt. Ich bin nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste Tänzerin.«
    »Aber du bist wie eine Kugel, rund, in sich geschlossen, deshalb bist du vollkommen, und das macht uns alle verrückt.«
    Queenie lachte wieder. Sie hatte das volle Lachen der Jugend, nicht mehr und nicht weniger. »Wenn ihr keinen triftigeren Grund habt, verrückt zu werden –!«
    »Die Burschen träumen von dir, Queenie. Ich bewundere dich, daß du so standhaft bleibst.«
    »Ich bin nicht tugendhaft, Ella. Es hat nur der noch nicht zu mir gefunden, der mich verführen kann. Und was das Runde betrifft… du bist viel runder als ich.«
    »Weiche mir nicht aus. Ich will zufällig einmal ernsthaft sein. Ich bin rund, ja, von Natur, ganz und gar, und es geht bei mir alles zusammen, das Alte und das Neue, die Geheimnisse und das Wissen, die guten Katchina, unsere Ahnen und Geister, die aus der Erde kommen, und Christus, der aus dem Grabe steigt, der Mais und die Kunst. Es ist alles ein großes buntes Spiel. Aber das ist es bei dir nicht. Du hast irgendeinen starken Reifen, mit dem du das, was nicht zusammengehört, zusammenzwingst… aber wiederum zwingst du es so leicht, als ob keine besondere Kraft dazu gehörte, oder deine Kraft ist so stark, daß das Schwere ein Spiel wird…«
    »Hör auf, Ella, du spinnst.«
    »Und du fängst dich in den feinen Fäden. Was ist das?«
    Ella hielt einen kleinen vertrockneten Kaktus in die Höhe. Queenie glitt aus dem Bett, und ehe Ella es sich versah, war ihr der Kaktus aus den Fingern gewunden. Queenie zuckte vor Zorn. Es lagen ihr Worte auf den Lippen, die die Freundschaft für immer zerstören mußten. Aber sie sprach sie nicht aus.
    Sie verwahrte den Kaktus in einem kleinen Lederbeutel, dann lief sie hinüber in den Baderaum und ließ sich die Brause eiskalt über den Rücken spülen. Sie mußte etwas wegwaschen. Hatte Ella spioniert? Oder hatte sie etwa selbst diesen Kaktus achtlos liegengelassen, nachdem sie die Stachelspitzen in ihre Haut gedrückt hatte? Sie spürte ihren eigenen Körper auf einmal auf eine neue Art. Sie mußte Abschied nehmen von der Zeit, in der sie noch ein Kind gewesen war oder noch das Kind gespielt hatte.
    Als Queenie in das Zimmer zurückkam, ging Ella in das Bad. Danach war von dem Kaktus und von dem, was sich darum abgespielt hatte, nicht mehr die Rede.
    Um acht Uhr fünfundvierzig standen die Mädchen und

Weitere Kostenlose Bücher