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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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tönte.
    »In den Slums, wahrscheinlich bei der Schwester«, ergänzte der kleinere, aber nicht weniger stämmige.
    »Harold Booth hat ihn gesehen.«
    Der Blinde hatte sich auf einen der schäbigen Stühle gesetzt. »Wir können nichts tun als warten«, hörte er den alten Richter sagen.
    »Die Polizei in New City ist informiert.« Der lange Polizist sprach überlaut, weil er sich bewußt war, nicht gefragt zu sein. Der Blinde legte die Hand zusammengeballt auf den Tisch.
    »Wird Stonehorn gesucht?«
    »Ja und nein.« Der alte Richter hatte sich dem jungen zugewandt. »Noch hat er kein neues Verbrechen begangen, aber wenn er zurückkommt, geschieht der nächste Mord. Wir sind verantwortlich.«
    »Hat er Eltern?«
    »Es ist eine Verbrecherfamilie.«
    Der Blinde horchte auf. Er hörte den alten Richter zum erstenmal mit einer scharfen Stimme sprechen.
    »Wer ist Harold Booth?« fragte Crazy Eagle erst nach einer Pause.
    »Der Jüngste der Booth-Familie. Von der großen Ranch vor den Bad Lands. Fünfundzwanzig Jahre.«
    »Hat er mit Stonehorn schon zu tun gehabt?«
    »Sie hassen sich.«
    »Was hatte Harold in New City zu suchen?«
    »Viehkauf. Der Vater hat ihn hingeschickt.«
    Der Blinde glaubte die mißbilligenden Blicke der beiden Polizisten körperlich zu fühlen. Eben darum stellte er noch eine Frage, aber er gab auch eine Erklärung dazu.
    »Ich gehöre erst seit einem Vierteljahr zu eurem Stamm und eurer Reservation. Drei Monate sind nicht genug, um euch kennenzulernen. Sagt, wie alt ist dieser Joe King, den ihr Stonehorn nennt?«
    »Dreiundzwanzig. Aber ich sage dir mehr als das. Seine Mutter hat den Vater ihres Mannes erschlagen. Ihr Mann war im Gefängnis; ein Trinker und Gewalttäter. Die Schwester ist in den Slums von New City verheiratet. Stonehorn selbst war widersetzlich und faul als Schüler. Er kam ins Gefängnis, weil er gestohlen, weil er einen weißen Lehrer bedroht und eine Bande gebildet hatte. Als er freigelassen wurde, ist er ein Tramp und ein Gangster geworden. Er hat wegen versuchter Beihilfe zu schwerem Raub gesessen. Schon in einem zweiten Falle steht er unter Mordverdacht. Nur aus Mangel an Beweisen mußte ihn das Gericht der weißen Männer vor kurzem wiederum freisprechen.«
    »Hat irgend jemand bei uns hier persönlich Angst vor ihm?«
    »Ja, Harold Booth. Die beiden haben sich schon in der Schule geschlagen. Harold ist ein großer kräftiger Twen, ein richtiger Indian-Cowboy auf der Ranch und gut im Fußball. Aber Stonehorn ist heimtückisch und gewandt wie ein Raubtier. Harold hat Angst.«
    »Kann jemand nach New City fahren und mit Stonehorn sprechen, ehe ein Unglück geschieht? Gibt es irgend jemand, der Einfluß auf ihn hat?«
    »Er läßt sich für keinen von uns blicken. Er haßt uns alle. Es war nur ein Zufall, daß er gesehen wurde. Vergiß auch nicht, was ich dir gesagt habe: Er hat nicht nur irgendwelche Verbrechen auf eigene Faust begangen. Er ist ein Gangster geworden, und die Gangs geben ihre Mitglieder nie mehr frei. Er ist ein verlorener Mensch.«
    »Lebt die Mutter noch?«
    »Sie ist in den Slums von New City bei ihrer Tochter gestorben. Unsere Familien hier dulden keine Mörderin unter sich.«
    »Sie war nicht zum Tode verurteilt?«
    »Nach dem Gesetz habe ich sie freigesprochen, ich, verstehst du? Notwehr. Aber für unsere Familien hier ist nach uraltem Herkommen ein Mord ein Mord. Ein Vatermord. Da gibt es kein Erbarmen. Auch der Ehemann wollte sie nicht mehr bei sich dulden.«
    »Ihr Sohn Joe King hat die Reservationsrechte?«
    »Wir haben sie ihm noch nicht abgesprochen. Sein Vater, der alte King, lebt hier, und er hatte seinen Sohn wieder zu sich genommen, als er selbst aus dem Gefängnis kam.«
    Der Blinde fragte nicht weiter. Er stand auf. Ohne Hilfe zu beanspruchen, ging er in die kahle Kammer, die sein Arbeitsraum war. Dort hatte sich schon sein Helfer und Betreuer eingefunden, ein runzliger Mann von etwa sechzig Jahren. Er las dem Blinden das Schreiben der Indianerin vor, das die Sekretärin auf Anweisung von Nick Shaw unterdessen gebracht hatte. Eliza Bighorn, so hieß die Frau, sollte mit Gefängnis bestraft werden, weil ihr achtjähriger Sohn drei Tage unentschuldigt von der Schule ferngeblieben war. Eliza verteidigte sich.
    Irgend jemand hatte ihr den Brief geschrieben. Sie wohnte weitab, der Schulbus kam nicht bis zu ihrem Haus. Sie besaß weder Pferd noch Auto. Der Junge hatte wieder einen epileptischen Anfall gehabt. Es gab keine Nachbarn, und Eliza

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