Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
riechen. Ismail war der festen Überzeugung, dass die Menschen ihrem Geruchssinn viel zu wenig Bedeutung beimaßen.
Die Welt war voller Düfte und wenn man sie einzuordnen wusste, war man klar im Vorteil. Vor allem, wenn man es mit Menschen zu tun hatte, die man nicht kannte. So war der Geruch von Angst ein deutlich anderer als der von Übermut. Dabei meinte Ismail nicht den Angstschweiß, dieser Geruch war nur eine Form des Schweißes. Er meinte die Angst, pure Angst. Egal, ob Menschen sie bewusst erlebten oder unbewusst. Angst roch immer gleich. Ein Mensch, der Angst hatte seine Familie zu verlieren, obwohl sie bei ihm war, verströmte den gleichen Geruch, wie ein Soldat in Kriegsgefangenschaft oder eine geltungssüchtige Frau, die von ihrem Freund erwischt wurde, wie sie mit einem anderen Mann schlief.
Er hatte jahrelang seine Sinne geschärft und war nun der Überzeugung, die wichtigsten Gerüche, die seine Gegner charakterisierten , zu erkennen.
Und Ali roch nach Angst, daran bestand kein Zweifel. Der zweite , schwächere Geruch war Enttäuschung.
„Und weißt du Ali, was ich erfuhr … dein Sohn weiß nicht einmal die Bedeutung seines Namens. Kannst du sie ihm sagen?“
Ali war nicht imstande zu antworten. Er stand nach wie vor regungslos da und schaute in die Leere. Ismail schien aber gar nicht auf eine Antwort warten zu wollen.
„Nein …? Gut … er weiß es schon, nicht wahr, Antara? Antara weiß, dass dies der Name des berühmten arabischen Poeten und Helden Antara Ibn Shaddād al-Absi ist. Seine Lebensgeschichte würde manchem Schriftsteller zu einem wunderbaren Roman verhelfen. Ein Sklave, der durch seine Tapferkeit und sein Heldenmut die Anerkennung seines Stammes und seines Vaters gewinnt und damit seine Freiheit. Möchtest du nicht auch frei sein, Ali?“
Ismail schaute Ali direkt in die Augen. Der Mund von Antara war geknebelt. Aus Ismails Augen sprach der pure Hass.
Ohne etwas dagegen tun zu können, flossen kleine Tränen aus dem linken Auge Alis.
„Wo ist das Buch, Ali?“
Die Tränen schienen Ali in die Realität zurückzuholen. Nun erkannte er, dass sein Traum von der Freiheit und dem besseren Leben für sich und seine Familie nur ein Traum bleiben würde.
Wo waren die anderen, dachte er sich und ahnte das Schlimmste. Sein Blick fiel auf die linke Wand und bestätigte seine schrecklichsten Befürchtungen. Die Wand war blutverschmiert.
Ismail folgte Alis Blick, schaute ihn an. Sein Blick schien vorwurfsvoll. Fast kam das Gefühl auf, als würde Ismail ein Schmerz treffen.
„Sie sind alle tot. Es ist deine Knechtschaft dem Mammon gegenüber, den sie mit ihrem Leben vergaben. Sie haben deine Sünden gereinigt, Ali, enttäusch sie nicht.“
„Ich habe Geld. Du kannst es haben“, sagte Ali, der nun begriff in welch aussichtsloser Situation er sich befand .
Ist dies die Rache Gottes, da ich an einer heiligen Frau Sünde getan habe , dachte er voller Verzweiflung.
„Du verstehst nicht, Ali! Hörst du denn nicht zu? Geld, was ist schon Geld, Ali? Nur ein glänzendes Nichts! Ich hätte dich damit überhäuft, wenn du mir nur das Buch gegeben hättest, anstatt mich zu hintergehen, Ali. Kennst du die Bibel, Ali?“
„Nein“, sagte Ali und spürte die Waffe in seiner Jackentasche. Doch seine Angst, dass Ismail seinen Sohn töten könnte war zu groß, als das s er ein Risiko eingegangen wäre.
„Auch dort gab es einen Verräter, Judas. Er war ein Jünger Jesus. Einer seiner engsten Vertrauten. Keinen hat Jesus mehr geliebt als diesen und niemanden mehr vertraut als ihm. Und womit hat Judas ihm diese uneingeschränkte Liebe gedankt? Mit Verrat, Verrat wegen 30 Silberlingen. Willst auch du mir 30 Silberlinge geben, Ali?“
Ali antwortete nicht.
„Jesus verzieh Judas, doch Judas hatte sich schon das Leben genommen, da er begriff, welch großen, nicht wieder gut zu machenden Fehler er begangen hatte. Ich will dir dein Leben lassen, weil ich Jesus liebe. Für diese Gnade wirst du mir das Buch bringen, sofort.“
„Ich habe es nicht, dieser Deutsche hat es. Ich kann dich zu ihm führen, wenn du willst. Aber bitte, lass den Jungen los! Er hat nichts damit zu tun. Bitte!“
„Bitte? Du hast jegliches Recht verloren, zu bitten. Du Hund. Der Junge kommt mit, wenn ich das Buch habe, werdet ihr leben. Bitte nicht mich, sondern den Herrn darum, dass der Deutsche es hat. Und wehe dir, wenn du Verrat an Gott üben solltest, dann werden dein Sohn und du meinen Hass spüren, wie einst die
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