Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
Leben zu bestimmen.
Auf der einen Seite sind wir zerbrechlich und sehnen uns nach Sicherheit, Geborgenheit und Schutz. Auf der anderen Seite sind es wir, die unter unendlichen Schmerzen Leben schenken.
Warum hat uns der Herr nicht immer stark gemacht? Dann müsste eine Frau nicht so leiden. Vor allem dann nicht, wenn sie liebt. Du magst lachen, liebes Tagebuch, aber das waren meine Gedanken in dieser seltsamen Nacht, die meinen Entschluss vorbereitete, den ich am nächsten Morgen fasste.
Am See blieb Joshua stehen und schaute aufs Wasser.
Es war still. Selbst die Nachtaktiven schienen zu ruhen, als erwarteten sie etwas.
Ich stand neben Joshua und versuchte meinen Blick starr auf den See zu halten, da ich nicht wollte, dass er dachte, ich würde lieber ihn anschauen. Da er nichts unternahm, sich zu mir zu drehen, blickten wir beide auf den See. Diese Stille machte mich ganz närrisch.
Zu gerne hätte ich die Mauer des Schweigens durchbrochen. Einzig der Mut fehlte mir.
Dann sprach er, ohne seinen Blick vom See abzuwenden.
„Sag Maria, wer bin ich?“
Ich verstand nicht recht, was er meinte und schaute ihn fragend an. Doch er schaute nicht zurück und blickte weiter auf den See.
„Ich höre viele Geschichten über mich. Einige flüstern, einige sind offen, wieder andere voller Furcht und gar manche des Zornes. Kannst du mir sagen, wer ich bin, Maria?“
„Du gibst den Menschen Hoffnung. Deine Worte lassen sie ihre Nöte vergessen und sie glauben, dass es auch für sie eine Zukunft gibt. Du bist ein noch größerer Prophet als Johannes, den sie den Täufer nennen. Du bist der gütigste Mensch den ich je kennen gelernt habe. Wieso fragst du mich das? Was bedrückt dich?“, fragte ich ihn und nun drehte er sich zu mir und unsere Blick trafen sich.
Seine Augen war en feucht, sein Gesicht voller Kummer. Trotz der Nacht war mir, als sähe ich ihn im hellsten Lichte. Sein Kummer kam über mich, ein Gefühl der Angst nahm sich meiner an.
„Gedanken. Sie bedrücken mich, sie sprechen zu mir. Sie lassen mich Dinge tun, die ich nicht verstehe, Worte sprechen, die nicht meine sind. Als wäre ich nicht mehr ich selbst. Bin ich noch der Sohn Josefs? Der Handwerker? Oder bin ich wirklich ein Prophet? Aber gehört nicht zu einem Propheten mehr als nur das Wort? Worte werden vergessen. Worte können nicht die Not lösen, sie nur kurz entzaubern aber die Zeit ist wie ein Strom. Sie holt die Worte ein und dann? Ich habe Sorge, dass ich ein an Wahn Leidender sein könnte, der denkt, etwas zu sein was er nicht ist. Was, wenn all die, die mir folgen und meinen Worten lauschen und Wunder erwarten, bald merken, dass auch ich ihnen nur ein Trugbild vorgetragen habe? Was, wenn diese Wunder ausbleiben, weil sie nie stattgefunden haben? Werden sie dann noch meinen Worten glauben?
Denn wie kann ein Mensch anderes sein als ein Mensch, Maria…?“
„Sprich nicht so Joshua! Du lässt Sorgen in mein Herz, die ich nicht möchte. Du bist der gütigste Mensch, dem ich je begegnet bin. Wie kann da aus dir der Wahn sprechen, wenn du von Liebe sprichst, wenn du bei all deinen Worten und Taten nie an dich denkst? Solche Güte kann kein Wahn sein.“
„Deine Worte werde ich in meinem Herzen tragen. Sie sollen mich in Zeiten der Angst mit Mut belohnen. Ich bin froh, dir begegnet zu sein. Du sollst wissen, die Wochen, die du nicht unter uns weiltest, haben dich noch stärker in mein Herz gebrannt und mich oft an dich denken lassen. Ich spüre, dass dein Herz voller Güte ist und dass niemand besser die Worte der Liebe des Herren den Menschen vermitteln könnte als du“, sagte Joshua und blickte mir tief in die Augen. Ich wich seinem Blick aus.
Und dann, dann nahm er meine Hand in die Seinige.
Ich wusste nicht wie mir geschah. Am liebste hätte ich ihm meine Liebe gestanden.
Konnte es einen besseren Zeitpunkt geben? Hatte er mir diese Worte gesagt, damit ich nun die Meinigen sagen konnte? Schließlich bin ich von adeliger Herkunft und Joshua weiß sicherlich, dass es für einen einfachen Handwerker ein Ding der Unmöglichkeit ist, einer Adeligen seine Liebe zu gestehen. Dies könnte seinen Tod bedeuten. Auf der anderen Seite war Joshua mit seinen Worten bisher noch nie vorsichtig umgegangen. Selbst Kaiphas gegenüber sprach er mit klarer Sprache. Jeglicher Gefahr trotzend, die von der Macht Kaiphas ausging. Warum also hätte er dann gerade bei mir anders sein sollen? Denn wenn er Augen hat, dann hätte er schon längst merken müssen,
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