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Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Titel: Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut
Autoren: Ivy Anderson
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besser auf diese Stunde vorbereitet sein. Die herzlose Wirklichkeit war jedoch anders, immer schlimmer als erwartet und der eigene Geist schwächer und voller Angst. Sterben ist niemals leicht.
    Alle meine Muskeln begannen zu vibrieren. Dabei klapperte sogar das Glas verräterisch im Mund unter den Zähnen. Es war dieses unendlich schnelle Zittern der Todesangst. Ich sah, dass auch die Lippen meiner Geschwister bibberten und Schleim aus Marias Nase lief. Mama beherrschte sich noch immer. Sie war stärker als wir.
    Unser Henker verlas den Inhalt des Blattes. Ich verstand nur, dass dieses unser Todesurteil enthielt. Der Uraler Sowjet hatte es gestern beschlossen und übte Selbstjustiz. Es gab für uns keinen Prozess, keinen Anwalt, nur diesen heimtückischen Mordbefehl. War das die Idee von kommunistischer Gerechtigkeit, die sie selbst für sich laut einforderten? Es ist so leicht über andere zu richten!
    Alles wirkte in diesem Moment entrückt und unwirklich. Es fühlte sich an, als verließ das Bewusstsein schon in diesem Moment den Körper und war nur noch ein Zuschauer der Ereignisse.
    War alles ein böser Traum, aus dem ich vielleicht bald erwachte? Das konnte doch nicht die Realität sein? Es musste irgendetwas passieren, dass dieses Missverständnis beseitigte!
    Mama und ich bekreuzigten uns nochmals. Niemand will seinen eigenen Tod wahrhaben.
    Papa fragte der Realität entrückt: „Was?“
    Die Männer zielten nun genauer auf unsere elfköpfige Gruppe. Sie schienen den Ablauf ihres Verbrechens genau besprochen zu haben, da auf jeden von uns ein anderer Rotgardist seine Gewehrmündung richtete. Auf mich war die von Pawel Medwedew gerichtet.
    Die Möbel fehlten deswegen im Raum, weil sie unseren Tod bereits detailliert geplant hatten. Das wurde mir jetzt bewusst.
    Der Kommandant Jurowski trat mit gezogenem Revolver auf Papa zu. Zwei Schüsse peitschten durch den Raum! Dann schoss er auf Mama. Unsere Eltern fielen als Erste getroffen zu Boden. Ljoschka schaute entsetzt und zitternd auf die Getroffenen.
    Ich biss nun mit aller Kraft zu. Länger durfte man keinesfalls warten. Glassplitter schnitten sich in Zunge und Zahnfleisch. Den Schmerz spürte ich nicht. Der Inhalt schmeckte bitter und faulig. Brennend ergoss sich die Flüssigkeit in den Magen und verströmte glühenden Schmerz.
    Nun feuerten alle Soldaten gleichzeitig. Die Kraft des bitteren Blutes krümmte mich jedoch in diesem Moment. Ein Geschoss zischte an mir vorbei. Durch die plötzliche Bewegung hatte es mich verfehlt. Eine weitere Kugel traf mich nun mit Wucht vor die Brust und schmetterte meinen zarten Körper gegen die Wand.
    Überall peitschten Schüsse. Federn flogen durch den Raum. Die Kammerdienerin versuchte voller Verzweiflung die Schüsse mit dem Kissen abzuwehren. Es war unermesslich laut. Pulverdampf trübte die Sicht, der Rauch konnte durch die geschlossenen Fenster, wie wir auch, nicht entweichen.
    Ich war jedoch nicht tot. Wir hatten in unsere Mieder auf Mamas Anweisung schon in Tobolsk einigen Schmuck eingenäht. Dieser musste die Kugeln abgehalten haben.
    Auch die anderen Mädchen stöhnten. Ich blickte zu Papa. Schaute er tatsächlich zu mir? War das noch ein letztes Lächeln? Sein Körper zuckte unter weiteren Treffern. Auch ich verspürte einen großen Schmerz im Bein. Gleichzeitig brannte die fremde Flüssigkeit wie Feuer im Magen. Das sündige alte Blut versengte mich innerlich.
    „Bitte nicht!“, stöhnte die neben mir liegende kleine Maria.
    Auch sie lebte noch. Die Bolschewiken hatten auf die Brust ihrer Opfer gezielt.
    Ljoschka, mein Bruder, der Zarewitsch, stöhnte leidvoll und stützte sich auf einen Unterarm. Seine Kinderaugen baten um Gnade. Er hatte furchtbare Schmerzen.
    Jurowski trat nun kaltherzig zu diesem, hielt seinen Revolver an dessen Ohr und drückt erneut ab. Der Kopf zuckte unter dem Schuss und krachte laut auf die Dielen.
    Trotzdem wimmerte Ljoschka immer noch unerträglich. Bitte, bitte, lasst ihn leben und tötet stattdessen alle anderen!
    Jurowski schoss ihm ein zweites Mal in die gleiche Stelle ins Ohr. Blut und Gehirn meines geliebten kleinen Bruders spritzten nun auf den hölzernen Boden. Er stöhnte nicht mehr.
    „Sterbt endlich!“, schrie der Anführer der Henker und entlud nun den Rest seines Pistolenmagazins auf Anastasija. Die Patronen schienen aber wie durch ein Wunder abzuprallen.
    Die eingenähten Juwelen verzögerten die Pein. Selbst Morden ist zuweilen nicht so einfach, wie viele
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