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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Bäume, Tiere, Menschenköpfe. Damit hatte er oft lange gespielt, und manchmal hatte er wie ein kleiner Herrgott Kreaturen nach seinem Willen erschaffen, er hatte in einen Blumen-kelch Augen und einen Mund gezeichnet, er hatte ein aus dem Zweig sprossendes Blätterbündel zu Figuren gestaltet, er hatte einem Baum einen Kopf aufgesetzt. Bei diesem Spiel war er oft eine Stunde lang glücklich und verzaubert gewesen, hatte zaubern können, hatte Linien gezogen und sich selbst davon überraschen lassen, ob aus der begonne-nen Gestalt das Blatt eines Baumes, die Schnauze eines Fisches, der Schwanz eines Fuchses, die Augenbraue eines 94
    Menschen werde. So sollte man verwandlungsfähig sein, dachte er jetzt, wie es damals die spielerischen Linien auf seinem Täfelchen gewesen waren! Goldmund wäre so
    gerne ein Specht geworden, vielleicht für einen Tag, vielleicht für einen Monat, hätte in den Wipfeln gewohnt, wäre hoch an den glatten Stämmen gelaufen, hätte mit starkem Schnabel in die Rinde gepickt und sich mit den Schwanzfedern gegengestemmt, hätte Spechtsprache gesprochen und gute Sachen aus der Rinde geholt. Süß und kernig klang das Spechtgehämmer im klingenden Holz.
    Viele Tiere traf Goldmund unterwegs im Walde. Er traf manche Hasen, die schossen plötzlich aus dem Gehölz, wenn er nahe kam, starrten ihn an, wandten sich und jagten davon, die Ohren niedergelegt, hell unterm Schwanz. In einer kleinen Lichtung fand er eine lange Schlange liegen, die lief nicht davon, es war keine lebendige Schlange, nur ihre leere Haut, er nahm sie und betrachtete sie, grau und braun lief ein schönes Muster über ihren Rücken, und die Sonne schien durch sie hindurch, sie war dünn wie Spinn-web. Schwarze Amseln mit gelben Schnäbeln sah er, die blickten starr und eng aus schwarzen ängstlichen Augen-kugeln und flohen in niedrigem Fluge der Erde nah davon.
    Rotbrüstchen und Finken gab es viele. An einem Ort im Walde war ein Loch, ein Tümpel voll mit grünem, dickem Wasser, auf dem liefen langbeinige Spinnen eifrig und wie besessen durcheinander, einem unverständlichen Spiel hingegeben, und darüber flogen ein paar Wasserjungfern mit tief dunkelblauen Flügeln. Und einmal, schon gegen den Abend, sah er etwas – vielmehr er sah nichts als bewegtes durchwühltes Laub und hörte Zweige brechen und feuchte Erde aufklatschen und ein großes, kaum sichtbares Tier mit gewaltiger Wucht durchs Gestrüpp rennen und Brechen, vielleicht ein Hirsch, vielleicht eine Sau, er wußte es nicht. Lange stand er noch, vom Schrecken aufat-95
    mend, tief erregt lauschte er der Bahn des Tieres nach, lauschte noch mit Herzklopfen, als längst alles still geworden war.
    Erfand nicht aus dem Walde heraus, er mußte darin übernachten. Während er eine Schlafstätte aussuchte und ein Moosbett aufbaute, suchte er sich auszudenken, wie das sein würde, wenn er nie mehr aus den Wäldern fände und für immer darin bleiben müßte. Und er fand, daß dies ein großes Unglück sein würde. Von Beeren leben, das war am Ende möglich, und auf Moos schlafen auch, außerdem würde es ihm ohne Zweifel gelingen, sich eine Hütte zu bauen, vielleicht sogar Feuer zu machen. Aber immer und immer allein zu bleiben und zwischen den stillen schlafenden Baumstämmen zu hausen und zwischen den Tieren zu leben, die vor einem davonliefen und mit denen man nicht sprechen konnte, das würde unerträglich traurig sein. Keine Menschen sehen, niemandem guten Tag und gute Nacht sagen, in keine Gesichter und Augen mehr blicken können, keine Mädchen und Frauen mehr ansehen, keinen Kuß mehr spüren, nicht mehr das heimliche holde Spiel der Lippen und Glieder spielen, o das wäre unausdenklich! Wenn ihm das beschieden wäre, dachte er, dann würde er versuchen, ein Tier zu werden, ein Bär oder Hirsch, sei es auch unter Verzicht auf die ewige Seligkeit.
    Ein Bär zu sein und eine Bärin zu lieben, das wäre nicht schlecht und wäre zumindest sehr viel besser, als seine Vernunft und Sprache und all das zu behalten und damit allein und traurig und ungeliebt dahinzuleben.
    In seinem Moosbett, vor dem Einschlafen, hörte er neugierig und ängstlich die vielen unverständlichen, rätselhaften Nachtgeräusche des Waldes. Sie waren jetzt seine Kameraden, mit ihnen mußte er leben, sich an sie gewöhnen, sich mit ihnen messen und vertragen; er gehörte zu den Füchsen und Rehen, zu Tanne und Fichte, mit ihnen 96
    mußte er leben, mit ihnen sich in Luft und Sonne teilen, mit ihnen den

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