Go vegan!: Warum wir ohne tierische Produkte glücklicher und besser leben (German Edition)
Grüsse vom Planeten Vegan
N eulich an der Wursttheke im Biosupermarkt: Ein Vater trägt seine kleine Tochter auf dem Arm. Das Mädchen mag vielleicht zwei oder drei Jahre alt sein. Was folgt, ist eine Szene, die sich so schon unzählige Male abgespielt hat: Der Verkäufer im weißen Kittel spießt mit seiner langen zweizinkigen Gabel ein Stück Wurst auf und reicht es dem Kind. Dieses blickt erst zum lächelnden Mann mit der weißen Papierhaube, dann zur Wurst, die an den Zinken baumelt, dann zum Papa und vergräbt das Gesicht schließlich verschämt an dessen Schulter.
»Schau mal, Lisa, was der Metzger da Tolles für dich hat«, sagt der Papa aufmunternd. »Das darfst du ruhig nehmen.« Da mischt sich eine ältere Dame, ebenfalls an der Wursttheke wartend, ins Gespräch ein. »Es ist schon erstaunlich, dass kleine Kinder Wurst so gerne mögen«, sagt sie. »Das war bei meinen Kindern früher auch so.« Der Vater hält inne und überlegt. »Das ist Lisas erste Wurst«, sagt er dann und nickt dem kleinen Mädchen ermunternd zu, das sich mittlerweile getraut hat, die Scheibe von der Gabel zu picken.
Nachdenklich schiebe ich meinen Einkaufswagen weiter und grüble über das Gehörte nach. Stimmt es wirklich, dass alle kleinen Kinder Wurst mögen? Oder war diese Szene gerade der beste Beweis dafür, dass wir unseren Geschmack und unsere Essgewohnheiten erst im Laufe unseres Lebens erlernen? Das würde bedeuten, dass wir sie auch ganz bewusst verändern können.
Ist es nicht so, dass Kinder grundsätzlich skeptisch sind, wenn sie etwas Neues kosten? Und dass ihre Reaktion von den Menschen um sie herum abhängt? Neugierig sind Kinder schon, aber eben auch noch nicht festgelegt.
Ich muss an den Besuch bei einem Kollegen denken. Er hat einen einjährigen Sohn. Als wir gemeinsam beim Abendessen sitzen, soll Otto etwas kosten, was er noch nie gegessen hat: eine Grissini-Stange, die er zuvor mit großem Eifer in meinen Apfelsaft getunkt hat.
Weil wir alle wollen, dass Otto mag, was er gleich isst, strahlen wir ihn wie die Irren an und tun so, als gäbe es nichts auf der Welt, was besser schmeckt. »Hhhhmmmm, lecker!«, sagen wir ganz automatisch. Und: »Njamnjam, so gut!« Otto lässt sich ein vollgesogenes Stück Grissini in den Mund schieben. Dann macht er den Mund wieder zu und schiebt den Bissen mit konzentriertem Gesicht einige Sekunden lang hin und her, während wir ihn alle erwartungsvoll anschauen. Noch ist völlig offen, wie er reagieren wird. Dann blickt Otto in die Runde und sein Gesicht erhellt sich zu einem mitreißenden Babylächeln. Erleichtert lachen wir alle mit.
Hat sich Otto nun für ein Lächeln entschieden, weil in Apfelsaft aufgeweichte Grissini tatsächlich ein kulinarischer Genuss sind? Oder hat Otto gelächelt, weil wir uns das alle so sehr von ihm wünschten? Man kann ihn noch nicht fragen, und bis er alt genug ist, diese Frage zu beantworten, werden wir die Szene wohl vergessen haben. Dennoch erscheint mir in diesem Moment ein Gedanke des US-amerikanischen Bestsellerautors Jonathan Safran Foer zu diesem Thema sehr klug. Er schreibt davon, dass Essen weitaus mehr ist als die bloße Aufnahme von Nahrung.
Bei Tisch geht es immer auch um die Geschichten, die wir mit dem Essen servieren. »Geschichten über Essen sind Geschichten über uns – unsere Vergangenheit und unsere Werte«, schreibt Foer. »Essen und Geschichten erzählen sind untrennbar miteinander verbunden.« In dem, was wir zu uns nehmen, bei welcher Gelegenheit und in der Art und Weise, wie wir etwas essen, aber auch darin, wie und ob wir über Essen nachdenken, spiegelt sich unsere Kultur und damit auch unsere Identität.
Dass so heftig über das Thema Essen gestritten wird, ist vor diesem Hintergrund nur allzu verständlich. Ausnahmslos alle Veganer, die ich für das vorliegende Buch getroffen und befragt habe, berichten, dass sie mit ihrer Ernährung, die ganz ohne tierische Produkte auskommt und unzweifelhaft mit den traditionellen Essgewohnheiten in unseren Breitengraden bricht, immer wieder auf Widerstände stoßen.
Auch ich kenne diese Konflikte. Bisweilen sind die Reaktionen unfreiwillig komisch. So musste ich vor vielen Jahren beim Geburtstagsessen einer Freundin dem Wirt eines französischen Restaurants erklären, warum ich weder Fleisch- noch Käsefondue mag. »Ein Leben ohne Fromage ist wie ein Leben ohne Liebe«, sagte er, stampfte kopfschüttelnd davon und würdigte mich für den Rest des Abends keines Blickes
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