Narziss Und Goldmund
ehrfürchtig um die Gestalt, die in seinem Herzen wohnte, und vergaß den Meister, sich selbst und den Ort, an dem er war. Er sah nicht, daß das Licht im Saale langsam wanderte, sah nicht, daß der Meister mehrmals zu ihm herüberblickte. Wie eine Opferhandlung vollzog er die Aufgabe, die ihm geworden war, die sein Herz ihm gestellt hatte: das Bild des Freundes emporzuheben und so aufzubewahren, wie es heut in seiner Seele lebte. Ohne sich darüber Gedanken zu machen, empfand er sein Tun wie das Abtragen einer Schuld, eines Dankes.
Niklaus trat an den Zeichentisch und sagte »Es ist Mit-tagszeit, ich gehe zu Tisch, du kannst auch mitkommen Laß sehen – du hast etwas gezeichnet?«
Er trat hinter Goldmund und schaute auf das große Blatt, dann schob er ihn beiseite und nahm das Blatt mit Sorgfalt in seine geschickten Hände. Goldmund war aus seinem Traum erwacht und blickte jetzt mit banger Erwartung nach dem Meister. Dieser stand, die Zeichnung mit beiden Händen haltend, und sah sie sehr genau an, mit seinem etwas scharfen Blick aus den strengen lichtblauen Augen
»Wer ist das, den du da gezeichnet hast?« fragte Niklaus nach einer Weile.
»Es ist mein Freund, ein junger Mönch und Gelehrter.«
»Gut. Wasche dir die Hände, dort im Hof läuft der Brunnen. Dann wollen wir essen gehen. Meine Gehilfen sind nicht da, sie arbeiten auswärts.«
Goldmund ging gehorsam, fand den Hof und den Brunnen, wusch sich die Hände und hatte viel darum gegeben, 163
des Meisters Gedanken zu wissen. Als er zurückkam, war dieser fort, er hörte ihn im Nebenraume hantieren, als er erschien, hatte auch er sich gewaschen und trug statt der Schürze einen schönen tuchenen Rock, er sah darin stattlich und feierlich aus. Er ging voran, eine Treppe hinauf, deren Geländerpfosten aus Nußholz kleine geschnitzte Engelsköpfe trugen, durch eine Diele, die voll alter und neuer Figuren stand, und in eine schöne Stube, deren Boden, Wände und Decke aus Hartholz waren und in deren Fensterecke ein gedeckter Tisch stand. Eine Jungfer kam hereingelaufen, Goldmund kannte sie, es war das schöne Mädchen von gestern abend
»Lisbeth«, sagte der Meister, »du mußt noch ein Gedeck bringen, ich habe einen Gast mitgebracht. Es ist – ja, nun weiß ich wirklich seinen Namen noch gar nicht.«
Goldmund sagte ihn.
»Also Goldmund. Können wir essen?«
»Im Augenblick, Vater.«
Sie holte einen Teller, lief hinaus und kam bald mit der Magd wieder, die das Essen auftrug, Schweinefleisch, Lin-sen und Weißbrot. Während des Essens sprach der Vater dies und jenes mit dem Mädchen, Goldmund saß schweigend, aß ein wenig und fühlte sich sehr unsicher und be-drückt. Das Mädchen gefiel ihm sehr, eine stattliche schö-
ne Gestalt, beinahe so groß wie ihr Vater, aber sie saß züchtig und höchst unnahbar wie hinter Glas und richtete weder Wort noch Blick an den Fremden.
Als gegessen war, sagte der Meister: »Ich will noch eine halbe Stunde ruhen. Geh du in die Werkstatt oder treibe dich ein wenig draußen herum, nachher wollen wir über die Sache sprechen.«
Mit einem Gruß ging Goldmund hinaus. Eine Stunde oder länger war es her, seit der Meister seine Zeichnung gesehen hatte, und kein Wort hatte er über sie gesagt. Jetzt sollte er 164
nochmals eine halbe Stunde warten! Nun, es war nicht zu andern, er wartete. In die Werkstatt ging er nicht, er wollte seine Zeichnung jetzt nicht wiedersehen. Er ging in den Hof, setzte sich auf den Brunnentrog und sah dem Wasserfaden zu, der sich unaufhörlich aus der Röhre ergoß, in die tiefe Steinschale fiel, im Niederfallen winzige Wellen schlug und immerzu ein wenig Luft mit sich in die Tiefe riß, die immerzu in weißen Perlen zurück- und emporstrebte. Im dunklen Brunnenspiegel sah er sein eigenes Bild und dachte, daß dieser Goldmund, der ihn aus dem Wasser anblickte, längst nicht mehr der Goldmund des Klosters oder der Goldmund Lydias sei, und auch schon der Goldmund der Wälder war er nicht mehr. Er dachte, daß er und jeder Mensch dahinrinne und sich immerzu verwandle und endlich auflöse, wahrend sein vom Kunstler geschaffenes Bild immer unwandelbar das gleiche bleibe
Vielleicht, dachte er, ist die Wurzel aller Kunst und vielleicht auch alles Geistes die Furcht vor dem Tode. Wir fürchten ihn, wir schauern vor der Vergänglichkeit, mit Trauer sehen wir immer wieder die Blumen welken und die Blätter fallen und spüren im eigenen Herzen die Gewißheit, daß auch wir vergänglich sind und bald
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