Narziss Und Goldmund
Mühe, sich zu be-herrschen und nur zu sagen, er habe einen Auftrag an ihn.
Der Herr nannte ihm nun die Gasse, wo der Meister wohne, und bis Goldmund sich dahin durchgefragt hatte, war es Nacht geworden. Beklommen und doch sehr glücklich stand er vor dem Haus des Meisters, schaute zu den Fenstern hinauf und wäre beinah hineingelaufen. Doch fiel ihm ein, daß es schon spät und daß er verschwitzt und staubig vom Tagesmarsch sei, und er bezwang sich und wartete.
Aber er stand noch lange Zeit vor dem Hause. Er sah ein Fenster hell werden, und eben als er sich zum Gehen wandte, sah er eine Gestalt ans Fenster treten, ein sehr schönes blondes Madchen, durch deren Haar von hinten der sanfte Ampelschimmer floß.
Am andern Morgen, als die Stadt wieder wach und laut geworden war, wusch sich Goldmund in dem Kloster, dessen Nachtgast er gewesen war, Gesicht und Hände, klopfte den Staub von Kleidern und Schuhen, suchte sich in jene Gasse zurück und pochte am Haustor. Es kam eine Magd, die wollte ihn nicht gleich zum Meister führen, aber es gelang ihm, die alte Frau zu erweichen, und sie führte ihn doch hinein. In einem kleinen Saal, der seine Werkstatt war, stand in einer Arbeitsschürze der Meister, ein bärtiger großer Mann von vierzig oder fünfzig Jahren, wie es Goldmund schien. Er sah den Fremden aus hellblauen scharfen Augen an und fragte kurz, was er begehre. Goldmund richtete den Gruß des Paters Bonifazius aus.
»Weiter nichts?«
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»Meister«, sagte Goldmund mit beengtem Atem, »ich habe Eure Mutter Gottes dort im Kloster gesehen. Ach, schauet mich nicht so unfreundlich an, es ist lauter Liebe und Verehrung, was mich zu Euch führte. Ich bin nicht ängstlich, ich habe lang auf Wanderung gelebt und den Wald und den Schnee und den Hunger geschmeckt, es gibt keinen Menschen, vor dem ich Furcht haben konnte. Aber vor Euch habe ich Furcht. Oh, ich habe einen einzigen, gro-
ßen Wunsch, von dem ist mein Herz so voll, daß es weh tut.«
»Was ist denn das für ein Wunsch?«
»Ich möchte Euer Lehrling werden und bei Euch lernen.«
»Du bist nicht der einzige, junger Mensch, der diesen Wunsch hat. Ich mag aber keine Lehrlinge, und zwei Gehilfen habe ich schon. Wo kommst du denn her, und wer sind deine Eltern?«
»Ich habe keine Eltern, ich komme nirgends her. In einem Kloster war ich Schüler, da habe ich Latein und Griechisch gelernt, dann lief ich weg, und seit Jahren war ich unterwegs, bis heute.«
»Und warum meinst du, du müssest Bildschnitzer werden? Hast du schon dergleichen versucht? Hast du Zeichnungen?«
»Ich habe viele Zeichnungen gemacht, aber ich habe sie nicht mehr. Aber warum ich diese Kunst lernen möchte, das kann ich Euch wohl sagen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, und ich habe viele Gesichter und Gestalten gesehen und habe über sie nachgedacht, und einige von diesen Gedanken haben mich immer wieder geplagt und mir keine Ruhe gelassen. Es ist mir aufgefallen, wie in einer Gestalt überall eine gewisse Form, eine gewisse Linie wiederkehrt, wie eine Stirn dem Knie, eine Schulter der Hüfte entspricht, und wie das alles im Innersten gleich 159
und eins ist mit dem Wesen und Gemüt des Menschen, der eben ein solches Knie, eine solche Schulter und Stirn hat.
Und auch das ist mir aufgefallen, ich sah es in einer Nacht, wo ich bei einer Gebärenden helfen mußte, daß der größte Schmerz und die höchste Wollust einen ganz ähnlichen Ausdruck hat.«
Durchdringend blickte der Meister den Fremden an.
»Weißt du, was du da sagst?«
»Ja, Meister, es ist so. Gerade das war es, was ich zu meiner größten Wonne und Bestürzung in Eurer Mutter Gottes ausgedrückt fand, darum bin ich ja gekommen. Oh, da ist auf diesem schönen holden Gesicht so viel Leid, und zugleich ist alles Leid wie zu lauter Glück und Lächeln geworden. Als ich das sah, fuhr es in mich wie Feuer, alle meine jahrelangen Gedanken und Träume schienen mir bestätigt und waren plötzlich nicht mehr nutzlos, und ich wußte sofort, was ich zu tun und wohin ich zu gehen habe.
Lieber Meister Niklaus, ich bitte Euch von Herzen, lasset mich bei Euch lernen!«
Niklaus, ohne ein freundlicheres Gesicht zu machen, hatte aufmerksam zugehört.
»Junger Mensch«, sagte er, »du kannst erstaunlich gut über die Kunst reden, und es ist mir auch verwunderlich bei deinen Jahren, daß du so viel über Wollust und Schmerz zu sagen weißt. Es wäre mir ein Vergnügen, mit dir am Abend einmal bei einem Becher Wein über diese Sache
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