Neobooks - Die Zitadelle der Träume
Überall klirrten Waffen, und Kommandos wurden gebrüllt. Morwenas Statthalter hatte sämtliche Einwohner Mar’Elchs, die dazu körperlich und vom Alter her in der Lage waren, dazu aufgerufen, sich im Umgang mit Schwert, Bogen, Axt oder Speer unterrichten zu lassen.
Über viertausend Hordenreiter waren nach den Berichten der Späher auf dem Weg in die Hauptstadt. Angeblich sollten noch andere Verbände dazustoßen, und er hatte lediglich siebenhundert Gardisten zur Verteidigung. Den Nachrichten aus dem Westgebirge zufolge mussten sie mindestens einen, vielleicht sogar zwei oder drei Tage allein gegen den Feind bestehen, und er erwartete keine Belagerung. Die Horde würde umgehend angreifen.
Sein jetziger Adjutant und ehemaliger Lehrmeister Arneke Partos, ein Mann wie ein alter knorriger Baum, kam auf ihn zu. »Mit dem Bogen können die wenigsten umgehen, aber dafür haben wir einige, die eine Armbrust bedienen können. Schwerter sind auch nicht sehr gefragt, Äxte und Spieße schon eher.«
Canon nickte. »Das war zu erwarten. Meinetwegen können sie mit Keulen kämpfen, Hauptsache sie treffen den Feind. Wie viele haben sich bisher gemeldet?«
»Weniger als zwölfhundert: in der Regel von ihren Dienstherren geschickte Aushilfsköche, Diener und Knechte und ein paar Schauspieler und Barden! Wir könnten die dreifache Menge ausbilden, aber die meisten Einwohner geben vor, irgendwelche Gebrechen zu haben. Du glaubst gar nicht, mit welchen Geschichten die uns teilweise kommen. Andere bieten großzügig Kromtaler an und meinen, damit wäre uns geholfen. Als wenn die Horden sich bestechen ließen.«
Canon nickte erneut. Er hatte nichts anderes erwartet. Ten’Shur war schon immer das Bollwerk gegen die Horden gewesen, in der Reichsstadt hatte man sich bisher völlig sicher gefühlt. Canon wusste, dass es auch heute noch zahlreiche Einwohner gab, die die Ankunft der feindlichen Truppen für eine erfundene Geschichte hielten. »Ich werde mich darum kümmern.«
»Wir haben doch schon alles versucht. Willst du jetzt von Haus zu Haus gehen?«, fragte der Hauptmann zweifelnd.
Sein ehemaliger Schüler und jetziger Vorgesetzter lachte auf. »Nein, ich habe vor, das Theater zu besuchen.«
Arneke Partos sah ihn verwirrt an. »Das Theater?«
»Muss man in Kriegszeiten vielleicht auf die schönen Künste verzichten?«
Seine Augen blitzten, und er klopfte seinem fassungslosen Adjutanten auf die Schulter. »Vertrau mir, Arneke, und halte morgen genügend Ausbilder bereit!«
Der seufzte gottergeben und wechselte dann das Thema. »Hast du neue Nachricht von unserer geliebten Königin?«
Canon nickte düster. »Viele Wege im Westen sind durch den anhaltenden Regen unpassierbar geworden. Vor allem die Wagen bleiben immer wieder stecken. Sie müssen große Umwege gehen und werden kaum vor Ablauf von sechs Tagen hier sein, eher später. Aber die Regenfront dürfte jetzt auch die Horden erreicht haben, so dass die hoffentlich auch nicht mehr so schnell vorankommen.«
Er wies in eine Ecke des Burghofes. »Kümmere dich um Karras! Unser Volksheer soll kämpfen können. Es muss nicht gut aussehen dabei. Gute Beinarbeit ist überflüssig, wenn sie den Speer verkehrt halten. Mach ihm klar, dass Grundbegriffe reichen müssen.«
Am Burgtor erwarteten ihn sein Pferd und seine Eskorte. Vier berittene Gardisten, die dafür sorgen sollten, dass der Ziehsohn der Königin unbehelligt durch die Straßen kam. Canon schwang sich in den Sattel und setzte seinen Dreispitz auf. Trotz seiner Jugend strahlte er Würde aus. Zielsicher lenkte er sein Pferd durch die Straßen in Richtung Theater.
Wie üblich feilschten Händler mit Kunden, und Dienstmädchen mit Körben über dem Arm tauschten Klatsch aus. Einspänner waren unterwegs, um die vermögenden Händlergattinnen zu vormittäglichen Gesprächsrunden mit Gleichgesinnten zu bringen, und die schweren Wagen der Kauffahrer wurden mit Kisten beladen. Nichts ließ darauf schließen, dass diese Stadt in Kürze Angriffsziel der Horden sein würde. Wenn Canon Klagen aufschnappte, dann welche übers Wetter. Die Menschen, an denen er vorüberritt, grüßten ihn teils begeistert, teils ehrerbietig, doch er ließ sich davon nicht täuschen. Genauso, wie die Menschen hier das Theater liebten, liebten sie auch ihre Helden. Helfen würden sie ihm gegen die Horden aber trotzdem nicht. Es schien unmöglich, die behäbigen Einwohner dazu zu bewegen, die bevorstehende Gefahr zu begreifen.
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