Neobooks - Die Zitadelle der Träume
Der Krieg hatte sie bisher verschont. Die Horden dienten nach wie vor nur dazu, Kinder einzuschüchtern.
In Mar’Elch war man reich, satt und zufrieden. Schwierigkeiten regelten die Königin und ihre Söhne seit Jahren weit außerhalb der Stadtmauern. Gern unterstützte man die Truppen mit Zahlungsmitteln oder mit Pferden, noch lieber jubelte man ihnen nach siegreichen Schlachten zu. Im Übrigen ging man eigenen Geschäften und Vergnügungen nach. Krieg war Angelegenheit der Krieger.
Ständig hörte Canon die hartnäckig vorgetragene Meinung, die große Morwena hätte Mar’Elch nie verlassen, wenn Gefahr für die Stadt bestanden hätte. Außerdem befand sie sich schon auf dem Rückweg. Sollten die Horden tatsächlich so weit ins Landesinnere vordringen wie nie zuvor, würde ihr fähiger Sohn sie mit seiner Garde aufhalten, bis die Königin kam. Die Flammenreiter waren auch schon auf dem Weg zurück und würden den Horden ohnehin den Garaus machen. Die Menschen verstanden die Aufregung nicht. Sie hatten Krieger und eine Stadtmauer mit nur einem Tor. Wer also sollte ungehindert in die Stadt kommen können?
Canon zügelte sein Pferd vor dem Theater und betrat das Gebäude durch den Säuleneingang. Er musste den Theatermeister nicht suchen, denn der überprüfte, munter vor sich hin summend, gerade die liebevoll zusammengesuchte Ausstattung der Bühne. Er stellte hier noch einen Stuhl um und schneuzte dort eine Kerze, und überlegte derweil, wie die Bürger wohl darauf reagieren würden, dass erstmals eine Frau auf der Bühne stehen würde. Waren die Liebhaber der Schauspielkunst wirklich schon so weit, diese Neuerung zu verkraften, oder war er zu gewagt vorgegangen, als er dem Drängen seiner Tochter nachgegeben hatte?
Morwenas Ziehsohn räusperte sich vernehmlich.
Theatermeister Rolof fuhr erschrocken zusammen, wandte sich um und war erfreut, bemüht, erstaunt und völlig ratlos.
Hoher Besuch, aber was wollte der? Heute Abend würden sämtliche Bänke besetzt sein. Ein neues Stück sollte gezeigt werden, und jeder wusste, dass er heute etwas Besonderes erleben sollte. Alles, was Rang und Namen hatte, würde daher vertreten sein. Er hatte noch viel zu tun, und jetzt kam der Feldmarschall persönlich. Um einen Platz konnte es ihm nicht gehen, denn die königliche Familie hatte selbstverständlich ihre eigene Loge, auch wenn die meist leer stand. Ein furchtbarer Gedanke setzte sich in seinem Hirn fest. Er verbeugte sich mehrfach und blinzelte seinen Gast ausgesprochen besorgt an. »Prinz Canon, welch seltene Ehre für mein Haus! Ich bin erfreut, Euch zu sehen, aber Ihr seid hoffentlich nicht gekommen, um die Vorstellung abzusagen?! Noch befinden wir uns doch nicht im Krieg.«
Canon nahm seinen Hut ab, schüttelte den Regen herunter und sah ihn mit unergründlicher Miene an. »Der Gedanke ist mir gekommen. Es erscheint mir in der Tat unpassend, dass einige unserer Mitbürger sich darin üben, Waffen zu führen, um unsere Stadt zu verteidigen, während andere sich im Theater vergnügen.«
Sein Gegenüber nickte, eifrigst bemüht, dem Gast seine Unterstützung zu beweisen. »Einige meiner Schauspieler haben sich zu den Waffenübungen gemeldet, … eigentlich alle, die für diese Aufgabe tauglich waren. Ihr könnt auf uns bauen. Wir nehmen die Bedrohung sehr ernst.«
»Genau darauf habe ich gehofft!« Canons Blick wurde fester, und seine Augen blitzten wie blankes Eis. »Ich will, dass Ihr heute Abend eine ganz besondere Vorstellung gebt. Ein Barde wird gleich kommen. Ich habe ihn herbestellt. Er ist geradewegs aus Kambala hierhergekommen. Gestern hat er mir von der Übernahme der Stadt durch die Horden erzählt, so anschaulich, dass ich hinterher glaubte, mir Blut von den Händen waschen zu müssen. Er berichtete von solch ungeheuerlichen Greueltaten an der Bevölkerung, dass mir der Schweiß ausbrach.«
Er machte eine kleine Pause, bevor er ergänzte: »Umso mehr wegen der Tatsache, dass Kambala freiwillig die Stadttore geöffnet hatte. Die Stadt hatte sich ergeben und wurde dennoch geschleift. Ich will, dass der Barde heute Abend hier vorträgt und dass Eure Schauspieler seinen Vortrag unterstützen.«
Der Theatermeister wurde blass und klammerte sich an den Tisch in seinem Rücken. »Die Menschen wollen sich unterhalten, mein Prinz! Sie wollen sich doch gerade ablenken von den Schrecken des Krieges.«
Sein Gegenüber verzog keine Miene, als es erwiderte: »Wie sollen sie sich davon ablenken wollen, wenn
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