Nerd Attack
eröffnet, hat das Bewusstsein dieser Generation geprägt – auch wenn das vielen ihrer Mitglieder kaum klar sein dürfte. Der Commodore 64, der erfolgreichste Computer aller Zeiten, der sich allein in Deutschland drei Millionen Mal verkaufte, weltweit vermutlich zehnmal so oft, leitete in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen eine Veränderung ein, die bis heute nachwirkt – und diese Generation von allen vorangegangenen unterscheidet.
Der C64 und das um ihn herum wuchernde Ökosystem installierten in unseren Köpfen ein Gefühl von nahezu unbegrenzter Machbarkeit, der Kalte Krieg, die drohende Umweltkatastrophe eines von nahezu absoluter Ohnmacht. Vieles von dem, was den heute 30- bis 40-Jährigen von den Älteren vorgeworfen wird – politische Apathie, ein Mangel an gesellschaftspolitischen Visionen, eine laxe Einstellung zum Urheberrecht und nicht zuletzt die Bereitschaft, sich technologischen Wandel ohne Rücksicht auf Geschäftsmodelle, gesellschaftliche Konventionen oder rechtliche Fragen zunutze zu machen – sind mittelbare oder unmittelbare Folgen dieser paradoxen Kombination aus Ohnmacht und grenzenlosen Möglichkeiten.
Die Generation C64 ist die erste, die nicht mit einem oder zwei fundamentalen technologischen Fortschritten zurechtkommen musste. Sie lebt seit ihrer Kindheit in einer Welt, zu der permanenter, sich unentwegt beschleunigender technischer Wandel in einem nie gekannten Ausmaß gehört. Diese Generation erlebte schon in jungen Jahren nicht nur die Einführung des Farbfernsehens, des Videorekorders, der CD und des Computers, sondern auch den Siegeszug des Handys und den des Internets. Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben sich in so schneller Abfolge so viele so tief greifende technische Veränderungen ereignet, die unmittelbar den Alltag jedes Einzelnen betreffen. Nicht alle können dieses Tempo mitgehen.
Unsere digitale Gegenwart begann 1982, als der Commodore 64 seinen Weg in deutsche Kinderzimmer antrat. Die meisten Deutschen unter vierzig leben in ihr. Die meisten derer, die hierzulande bis heute politische oder ökonomische Entscheidungen treffen, gesellschaftliche Diskurse dominieren, sind in dieser Gegenwart bis heute Zaungäste. Es geht eine Kluft durch dieses Land – und wenn es uns nicht gelingt, sie zu schließen oder wenigstens zu überbrücken, wird das nicht nur für das gesellschaftliche Zusammenleben, sondern auch für unsere ökonomische Zukunft gefährliche Folgen haben. Dieses Buch handelt von dieser ersten Generation, die in einer digital geprägten Welt aufwuchs, meiner Generation, von denen, die danach kamen – und von ihrem bis heute schwierigem Verhältnis zu denen, die in einer anderen, einer vergangenen Epoche erwachsen geworden sind.
Kalter Kinderzimmerkrieg
Natürlich lebte man als Kind in der ersten Hälfte der Achtziger trotz drohender nuklearer und ökologischer Apokalypse nicht in ständiger Angst. Schon allein deshalb, weil das gar nicht durchzustehen gewesen wäre. Und weil unsere Eltern, in Zusammenarbeit mit Unterhaltungs- und Spielzeugindustrie viel unternahmen, um die bedrohliche Realität ein bisschen zu relativieren. Aber die Vorstellung, »Wetten, dass ..?«, »Star Trek«, Playmobil und Carrera-Rennbahnen hätten all das so weit aus unserem Bewusstsein verdrängt, dass es keine Rolle spielte, ist absurd. Und leicht zu widerlegen.
Als ich meine Eltern Anfang 1980, mit sieben oder acht Jahren, fragte, was das Wort »Boykott« bedeute, das damals ständig in den Nachrichten vorkam, erklärten sie mir, dass das große Russland das kleine, wehrlose Afghanistan einfach so besetzt habe und dass nun darüber gestritten werde, ob man an den Olympischen Sommerspielen in Russlands Hauptstadt Moskau teilnehmen oder aus Protest fernbleiben solle. Das verstand ich sofort. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das intensive Gefühl, politisch aktiv werden zu müssen.
Dass die Russen böse waren und uns irgendwie bedrohten, dass sie die Leute in ihrem Land einsperrten und eine Mauer durch Deutschland gebaut hatten, das hatte man uns schon erklärt. Aber dass ein so großes Land ein kleines einfach überfiel, war viel leichter zu verstehen und zu verdammen. Als habe ein Schulhofschläger, den man schon die ganze Zeit argwöhnisch beobachtet hatte, einen kleinen Brillenträger, wie man selbst einer war, attackiert. Zur Geburtstagsfeier von so einem wäre man nicht hingegangen, auch wenn man eingeladen worden wäre.
Es scheint mir ein
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