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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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enormes Anliegen gewesen zu sein, meinem Abscheu über den Einmarsch in Afghanistan öffentlich Ausdruck zu verleihen. Ich nahm die Papprückseite eines karierten Schulblocks, malte darauf mit Buntstiften einen Soldaten mit grüner Uniform und rotem Hammer-und-Sichel-Signet auf dem Helm und strich den Soldaten mit rotem Buntstift durch. Dann versah ich den Pappdeckel mit einem Slogan und stellte ihn, nach außen zeigend, zwischen den inneren und äußeren Flügel unseres Kinderzimmerfensters. Jeder, der auf dem Bürgersteig vor unserer Hochparterrewohnung vorbeiging, konnte nun lesen: »Russen nein – Boykott ja!«
    Der Kalte Krieg besaß eine ständige, unterschwellige Präsenz in dieser Zeit. Er war aber für uns Mittelschichtkinder stets eingebettet in ein familiäres Gefühl der Sicherheit. Abends, auf dem Sofa im Wohnzimmer, wenn der Kalte Krieg wieder einmal die für uns so langweiligen Nachrichten dominierte, saß Papa vor dem Grundig-Fernseher in Holzimitatoptik, aß belegte Brote und trank Bier. Meistens erschien der Ost-West-Konflikt ohnehin in Form von Unterhaltung. Er spielte eine Rolle in Filmen mit John Wayne oder James Bond, die am Samstagabend nach 23.00 Uhr im Fernsehen liefen und die wir manchmal mit ansehen durften. Er hatte Gastauftritte in den Vorabendfernsehserien, die wir auf keinen Fall verpassten: »Ein Colt für alle Fälle« oder »Trio mit vier Fäusten«. Und er wurde gespielt.
    Die Kinder, die zu dieser Zeit noch Spielzeugpanzer und Plastiksoldaten besitzen durften, die mit den weniger politisch korrekten Eltern, ließen im Sandkasten, am Strand und am Bach natürlich gute Amerikaner gegen böse Russen antreten. Die Helden in den Filmen, die wir nicht sehen durften, kämpften auch immer gegen die Kommunisten. Rambo zum Beispiel oder Chuck Norris. Männer, die auf den Filmplakaten riesige Waffen in den Händen hielten, die wir auch unbedingt haben wollten.
    Am intensivsten aber wurde der Kalte Krieg in den Kinderzimmern jener Tage am Computer nachgespielt. Der Commodore 64 war neben vielen anderen Dingen eines der erfolgreichsten Propagandavehikel seiner Zeit.
    Die Elf-, Zwölf-, Dreizehnjährigen, die mit ihm spielten, besorgten sich ihre Propagandamittel sogar selbst, in der Regel auf illegalem Weg. Auch, aber nicht nur, weil viele der plumpsten, brutalsten und deshalb beliebtesten antirussischen Spiele in Deutschland auf dem Index standen: »Raid over Moscow«, »Beach Head«, »Green Beret«. Wir hatten sie alle. Jeder von uns. Der Jugendschutz stand damals vor einem ähnlichen Dilemma wie heute: Wie soll man in einer Umgebung, in der Spiele ohnehin vor allem auf illegalem Weg verbreitet werden, für die Durchsetzung von Altersfreigaben sorgen? Der C64 und die Raubkopie gingen sehr früh eine unheilige Symbiose miteinander ein, die sich allerdings letztlich als immens fruchtbar erweisen sollte. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde die verlustfreie, kinderleicht anzufertigende Digitalkopie zum Motor einer neuen Entwicklung und gleichzeitig zur fundamentalen Bedrohung für eine ganze Branche. Ganz ohne Internet.

Im Kleinraumbüro
     
    Ich bekam meinen Commodore 64, kurz C64, zu meinem elften Geburtstag, am 1. Februar 1984. Er erhielt einen Ehrenplatz in der Ecke zwischen einem von oben bis unten mit Werbeaufklebern verzierten Buchenkleiderschrank und der Gasheizung auf unserem alten Kinderzimmertisch mit seiner zerkratzten und bemalten Kiefernholzplatte. Meine Computerecke sah aus wie eine knallbunte Kinderzimmerversion eines jener Cubicles, in denen moderne Großraumbüroarbeiter ihre Arbeitstage verbringen. Über dem Fernseher hing ein selbst gemaltes Bild vom Räuber Hotzenplotz mit sieben Messern und einer Pistole im Gürtel.
    Den Fernseher, das wichtigste Zubehör für meine neue Errungenschaft, hatten meine beiden Schwestern und ich gemeinsam zu Weihnachten bekommen. Ohne den Fernseher ging es nicht. Der C64 wurde mit einem normalen TV-Antennenkabel daran angeschlossen. Einen speziellen Computermonitor brauchte man nicht, was ein echter Vorteil war: TV-Geräte waren in den frühen Achtzigern in der Regel Farbfernseher, während Computermonitore weiße, orangefarbene oder grüne Schrift auf schwarzem Untergrund boten. Gut zum Arbeiten, gar nicht gut zum Spielen. Zumal der C64 stolze 16 Farben darstellen konnte.
    Vermutlich war der dringliche Wunsch nach einem eigenen Fernseher an den langen Sonntagnachmittagen entstanden, wenn im ZDF Kinderserien liefen, unser Vater aber das in

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