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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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über mir ein Wimmern hörte. Ich schaute auf und entdeckte Jimmy fast
oben auf einer der Leitern, die zu den Laufstegen hinaufführten.
    Er schrie: »Nein!«
    »Ich will dir nicht weh tun, Jimmy.«
    Er kletterte weiter hinauf.
    Ich sah Knox’ Leiche vor mir am Fuß der
Leiter liegen, den Hals in einem seltsamen Winkel gekrümmt. Ein Schauder zuckte
durch meinen Körper, und ich senkte die Waffe.
    »Bitte, komm runter«, rief ich Jimmy
zu. »Wir müssen doch zur Isle of Innisfree.«
    Er zögerte einen Moment, aber dann
schob er sich doch vorsichtig weiter die Planke entlang.
    Ich legte meine Pistole auf den Boden,
wo er sie sehen konnte, und trat zurück. »Schau, ich lasse die Pistole da. Du
kannst runterkommen. Wir reden miteinander.«
    Er stand still, starrte auf mich herab.
Einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte ihn überzeugt, aber dann setzte er
seinen Weg fort.
    Ich holte tief Luft und ging auf die
Leiter zu. »Also gut, Jimmy, dann komme ich eben hinauf. Dann können wir
reden.«
    Keine Antwort.
    »Jimmy, bitte, warte doch.«
    Alles, was ich hörte, war das
metallische Geräusch seiner Füße, die auf der Planke entlangglitten. Das Gerüst
bebte unter seinem Gewicht.
    Ich erreichte den Fuß der Leiter und
packte sie, spürte das Vibrieren. Aber das hatte nichts zu sagen; das Gestänge
war so konstruiert, daß es mehr als das Gewicht einer einzelnen Person tragen
konnte, war wahrscheinlich sogar verstärkt worden, um den modernen
Sicherheitsbedingungen zu entsprechen; hatte Knox nicht schließlich erzählt,
sie hätten hier in den siebziger Jahren Rockkonzerte gegeben?
    Ich fing an, die Leiter
hinaufzuklettern. Auf halbem Weg zur Planke hinauf verspürte ich den Drang,
nach unten auf die Bühne zu schauen. Ich tat es nicht.
    Als ich fast auf der letzten Sprosse
stand, waren meine Hände so schweißnaß, daß ich fast den Halt verloren hätte.
Ich blieb stehen, wischte mir eine Hand an der Hose ab, konnte mich wieder
besser festhalten, wischte nun die andere Hand ab. Schließlich zog ich mich auf
die Planke hinauf und lag dort auf dem Bauch, lauschte Jimmys lautem Atem. Ich
hielt die Augen geschlossen, befahl mir, nicht an den Abstand zur Bühne zu
denken. Als ich die Augen endlich wieder öffnete, sah ich, daß die Laufplanke
breiter war, als sie von unten ausgesehen hatte — ein schwacher Trost.
    Ich wagte es endlich, den Kopf zu
heben. Der Laufsteg führte zu der anderen Leiter auf der gegenüberliegenden
Seite der Bühne, dem Gegenstück zu derjenigen, die ich gerade emporgeklettert
war. Jimmy stand oben, klammerte sich an einen senkrechten Stützpfeiler. Hier
oben war es düster, über dem Gitterwerk der Beleuchtungsstreben, und deshalb
konnte ich sein Gesicht nicht so gut sehen, aber ich konnte ihn weinen hören.
    Langsam kam ich auf die Knie, war mir
der Vibrationen der Planke nur allzusehr bewußt. Jimmy wimmerte vor Angst.
    »Gehen wir nicht zusammen fort?« fragte
ich ihn.
    »Nicht mehr.« Er schluchzte.
    »Warum nicht?«
    »Ich gehe nirgendwo mehr hin, außer da
hinunter.« Er wies mit dem Kinn auf die Bühne unten. »Genau wie Mr. Knox. Ich
bin ihm hier herauf gefolgt und habe ihn erschreckt, so wie Sie mich
erschrecken.«
    Ich hockte mich auf die Fersen. »Warum
ist Otis hier heraufgekommen, Jimmy?«
    »Ich weiß nicht. Kam heim und fand ihn.
Er hatte alle Lichter an und war hier oben, hat gesungen und gelacht.«
    »Vielleicht war er glücklich, weil er
das Theater gekauft hatte.«
    Jimmy zuckte zusammen, und die Planke
schaukelte bei dieser Bewegung. »Er hätte es nicht kaufen sollen! Es war meins!
Es war mein Heim!«
    Schnell sagte ich: »Ich weiß. Er hatte
kein Recht, in dein Heim einzudringen. Wie lange hast du schon da unten gewohnt
— an dem Ort wie in ›All Souls Night‹?«
    Es schien ihn zu beruhigen, daß ich
dieses Gedicht erwähnte. »Ungefähr zwei Monate. Ich habe schon vor langer Zeit
herausgefunden, wie man ins Theater eindringen kann. Ich habe mir eine
Metallsäge geliehen und die Stäbe vor dem versteckten Fenster durchgesägt. Ich
wollte nicht hier wohnen; das Theater stand zum Verkauf, und ich wußte, die
würden mich rausschmeißen, wie sie es überall gemacht haben, wenn ich es
gemütlich hatte. Ich wollte nur einen Ort haben, an dem ich allein sein und
meine Ruhe haben konnte.«
    Ruhe. Ich konnte nichts hören außer
seiner Stimme. Hatte Don die Polizei gerufen? Wo waren sie?
    »Aber dann hast du All Souls Night
gefunden.«
    »Ja. Ich hatte gehört, daß es

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