sollte, aber wenn er mitten in einer Tiramisu-Krise war, dann würde ich vielleicht gar nicht zu ihm vordringen.
»Aber wo soll er denn wohnen?«, fragte Mam plötzlich. »Niemand von unseren Freunden würde ihn bei sich wohnen lassen.«
Da hatte sie nicht Unrecht. In ihrem Freundeskreis funktionierten die Dinge so, dass die Männer die Geldbörse und die Autoschlüssel in der Hand hatten, aber die eigentliche Macht im Haus besaßen die Frauen. Sie bestimmten, wer ins Haus gelassen wurde, und selbst wenn einer der Männer meinem Vater versprochen hatte, dass er bei ihnen übernachten könnte, würde seine Frau Dad nicht über die Schwelle lassen, aus Loyalität zu meiner Mutter. Aber wenn nicht bei Freunden, wo dann?
Ich konnte ihn mir nicht in einem schäbigen Zimmer vorstellen, mit einer Kochplatte und einem rostigen elektrischen Wasserkocher, der sich nicht automatisch ausschaltete, wenn das Wasser kochte.
Doch wenn er es sich in den Kopf gesetzt hatte, dann würde er es ziemlich lange fern von Mam und seinem bequemen Zuhause aushalten. Er würde drei Tage lang mit seiner Golfballmaschine spielen und erst nach Hause kommen, wenn er frische Socken brauchte.
»Wann ruft er wieder an?«, fragte Mam wieder.
»Ich weiß es nicht. Lass uns den Fernseher anmachen.«
Während Mam so tat, als guckte sie Sunset Beach , schrieb ich meine erste E-Mail an Susan. Susan – auch »meine liebe Susan« genannt, um sie von anderen Susans zu unterscheiden, die vielleicht nicht so lieb sind – war eine in unserem Dreierklub gewesen, mit mir und Lily, und nach dem großen Knall hatte sie sich auf meine Seite geschlagen.
Vor erst acht Tagen, am ersten Januar, war sie für zwei Jahre als PR-Frau bei einer der großen Banken nach Seattle gegangen. Sie hatte gehofft, sich während ihres Aufenthalts einen Microsoft-Leibeigenen zu angeln, aber sie hatte keine zwei Tage gebraucht, um herauszufinden, dass die alle siebenundzwanzig Stunden am Tag arbeiteten und folglich keine Zeit für Freunde und eine romantische Begegnung mit Susan hatten. Die Multiple-Choice-Kaffees, die man dort bekam, waren kein wirklicher Ersatz, deswegen fühlte sie sich einsam und lechzte nach Neuigkeiten. Ich berichtete ohne große Einzelheiten und drückte »Abschicken« auf meinem Communicator Plus, der so viele Funktionen hatte, dass er fast meine Gedanken lesen konnte. Ich hatte ihn von meiner Firma, als Geschenk getarnt, bekommen. Ja, genau! In Wirklichkeit machte er mich nur noch mehr zum Sklaven, als ich ohnehin schon war – so konnten sie mich jederzeit erreichen. Und das Ding war so schwer, dass es das Seidenfutter in meiner zweitbesten Handtasche ruinierte.
Als Sunset Beach zu Ende war und Dad immer noch nicht angerufen hatte, sagte ich: »Das geht so nicht. Ich rufe ihn jetzt an.«
2
AN:
[email protected]VON:
[email protected]THEMA: Dad entlaufen, noch nicht zurück
Nun gut, die neuesten Neuigkeiten. Du brauchst ein Valium, um das zu verkraften, also hol dir lieber eins, bevor du weiterliest.
Wieder da? Sitzt du bequem? Also: Mein Vater, Noel Hogan, hat eine Freundin. Doch damit nicht genug. Sie ist sechsunddreißig. Nur vier Jahre älter als ich.
Wo er sie kennen gelernt hat? Was meinst du wohl? Im Büro natürlich. Sie ist – Gott, so peinlich, diese Vorhersagbarkeit – seine Sekretärin. Sie heißt Colette und hat zwei Kinder, ein neunjähriges Mädchen und einen siebenjährigen Jungen, aus einer anderen Beziehung. Sie war mit dem anderen Mann nicht verheiratet, und als ich Mam das erzählte, sagte sie: »Wen wundert’s? Warum soll man die Kuh kaufen, wenn man die Milch umsonst haben kann?«
Das Ganze ist entstanden, als sie beide an dem Tiramisu-Projekt gearbeitet haben und sich dabei näher gekommen sind.
Ja, ich hatte Susan von dem Tiramisu-Schokoriegel erzählt. Ich weiß, dass es ein Geheimnis war und dass ich Dad versprochen hatte, niemandem davon zu erzählen, aber Susan war so begeistert von dem Thema, dass ich mich nicht zurückhalten konnte. Am liebsten hätte sie eine Doktorarbeit darüber geschrieben: ›Von Curly-Wurly zu Mini-Kitkats – die Entwicklung des Schokoladenriegels im einundzwanzigsten Jahrhundert‹. »Überleg mal, was ich für die Forschung alles brauchen würde«, hatte sie gesagt.
Ich musste extra von meiner Arbeit nach Hause kommen (und zweihundert unberechenbare Chiropraktiker in Andreas Obhut zurücklassen), um das alles aus Dad herauszuleiern, als wären wir bei