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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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opfern, nicht Unschuldige zu töten!« Sie klang jetzt eine Spur schärfer.
    »Das eine ist nur eine Folge des anderen.« Seine Stimme bebte; die Kälte, die er hineinlegen wollte, wirkte gekünstelt und falsch. Die Überzeugung, die er sich übergestreift hatte, war zu groß für ihn, wie ein falsches Paar Stiefel. Sie war für andere gemacht, nicht für ihn, und doch hatte er keine Wahl. »Du hast mir meine Frage nicht beantwortet«, sagte er langsam. »Warum dieses Märchen von Mortens Pakt mit dem Bösen?«
    »Ich wollte sicher sein, daß du seine Unschuld und Reinheit in ihrer vollen Größe wahrnimmst«, gab sie zur Antwort. »Du hast einen Hexer erwartet, und begegnet ist dir ein Heiliger. Ich wollte wissen, ob du ihn trotzdem tötest.«
    Er schnaubte verächtlich – nur ein weiterer schwacher Versuch, sich selbst zu schützen. »Und nun, da du es weißt?«
    »Nun kann ich Malena berichten, was aus dir geworden ist«, sagte sie eisig. »Wenn ich ihr im Herbsthaus gegenüberstehe, wird sie erfahren, wie du wirklich bist, Hagen von Tronje. Und sie wird ihren Schmerz, von dir getrennt zu sein, überwinden können.«
    Darauf schwieg er eine lange Zeit, während die fünf Tannen immer heller brannten. So wie sie Hagen den Weg gewiesen hatten, würden sie auch die Dienerinnen des Siebenschläfers herbeilocken.
    Erst als er nicht mehr sicher war, ob Nanes Geist überhaupt noch um ihn wehte, stellte er seine letzte Frage:
    »Warum dieser Ort?«
    »Du hast ihn doch erkannt, oder?«
    »Aber warum gerade hier?«
    Jetzt lachte sie leise, hell und sanft und mädchenhaft. »Du hast ihn gesucht, Hagen. Ohne es zu wissen, vielleicht, ohne es wahrhaben zu wollen. Aber all deine Wege, deine Reisen, immer kreisten sie um dieses eine Ziel. Du wolltest erfahren, was damals unter dir war, in jener Nacht, als du zwischen den Tannenwipfeln dahintriebst. Du hast davon geträumt, nicht wahr? Von schwarzen Abgründen voller Bestien und böser Götter. Aber so war es nicht, Hagen. Da war nichts, als ein einfacher Opferplatz der Dorfbewohner, die mit dem Gold den Siebenschläfer um Schonung baten. Sie haben ihm geopfert, was sie von anderen geraubt hatten. Er aber hat ihr Flehen nicht erhört. Der Fluß überschwemmte ihre Häuser bis über die Giebel. Einige dieser Menschen warfen sich verbittert in die Fluten, trugen das Gold hoch hinauf in die Wipfel, damit das Wasser es nicht mehr erreichen möge. Und dann, Hagen, kamst du. Du hast nicht nur die Dorfbewohner um ihre Beute gebracht, du hast auch das Opfer des Siebenschläfers gestohlen. Du hast deine Strafe verdient, jeden Tag voller Elend, der über dich kam. Wir aber, die wir mitgerissen wurde von der Rachsucht des Siebenschläfers, wir waren unschuldig. Unschuldig, Hagen! Trotzdem wurde meine Familie zu einem Leid verdammt, das viel größer ist, als das deine je sein wird.«
    Hagen ging in die Knie, schlug die Hände vors Gesicht. Lange Zeit hockte er da, während der Opferplatz des Siebenschläfers von den Flammen verzehrt wurde. Erst als er langsam den Kopf wieder hob und abermals ins Feuer blickte, kam ein Flüstern über seine Lippen.
    »Aber ich war nur ein Kind! Nichts von all dem habe ich gewußt!«
    Ihre Stimme wehte wie eiskalter Atem in sein Ohr. »Ich war auch nur ein Kind, Hagen. Malena war ein Kind. Sie hat nie –«
    Ein tosender Windstoß übertönte ihre Worte, ein donnerndes Krachen und Rauschen erklang, und tausendfache Gischt sprühte Hagen ins Gesicht.
    »Er kommt«, flüsterte er in den Lärm einer Flutwelle. »Der Siebenschläfer kommt.«
    Und er nahm den Goldsack, ungeachtet von Nimmermehrs Anwesenheit, wandte sich von der Helligkeit ab und schleppte sich so lange vorwärts, bis seine Stiefel ins Wasser traten.
    Er hörte dreistimmiges Kichern, dreistimmigen Wahnsinn. Dann entriß ihm eine Woge das Gold und zog es strudelnd in die Tiefe. Er selbst wurde nach hinten geschleudert, prallte zurück in aufgeweichtes Erdreich.
    Ein Lufthauch schabte hart wie Eiskristalle an seiner Wange vorüber; Nanes Geist folgte den drei Wasserfrauen zum Herbsthaus. Sie würden ihr den Weg weisen, wissentlich, vielleicht, oder blind in ihrer Gier nach dem Gold und dem Lob ihres Meisters.
    Hagen wollte sich erheben, rückwärts ins Trockene kriechen, als ihn eine weitere Welle erfaßte, mit sich in den Fluß riß, weit, weit hinaus, tanzend wie Treibholz über der eisigen Tiefe.
    Ich ertrinke, dachte Hagen und war glücklich.
    Aber er ertrank nicht. Der Siebenschläfer wachte

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