Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
das sich über etwas Hartem spannte. Seine Finger fanden eine Öffnung und glitten hinein. Er fühlte Münzen, unzählige Münzen, aber auch Ringe, Ketten und Geschmeide. All das schien ihm weniger der Lohn für Runolds Vorführungen zu sein als vielmehr die Beute eines Diebes. Offenbar war der Gaukler nicht davor zurückgeschreckt, seine Zuschauer um das eine oder andere edle Stück zu erleichtern. Er fragte sich, ob die falschen Götter von den Räubereien ihres Anführers gewußt hatten.
    »Ich möchte Euch um eine ehrliche Antwort auf eine Frage bitten, Bruder Morten.«
    »Natürlich, mein Freund.«
    »Habt Ihr je zuvor meinen Umhang gesehen?«
    Morten lachte verwundert. »Euren Umhang? Ein schönes Stück, zweifellos. Aber ich habe es heute zum ersten Mal gesehen. Ich bin sicher, es wäre mir in Erinnerung geblieben. Vor allem der Kragen aus Rabenfedern ist wundervoll gewirkt. Es sind doch Rabenfedern, nicht wahr?«
    »Ja.« Hagen entspannte sich und versuchte, seine Gedanken in geordnete Bahnen zu zwingen. Nimmermehr hatte gesagt, sie habe den Mantel von Morten gestohlen. Noch eine Lüge.
    Er faßte sich ein Herz und fragte: »Kennt Ihr ein Mädchen namens Nimmermehr?«
    Morten schwieg eine Weile, und Hagen wünschte sich verzweifelt, er könnte sein Gesicht sehen, die Empfindungen, die es ausdrückte. So aber mochte Mortens Schweigen alles mögliche bedeuten.
    Schließlich sagte der Priester nachdenklich: »Das ist ein merkwürdiger Name. Aber ich glaube nicht, daß ich ihn je zuvor gehört habe. Mein Gedächtnis ist nicht das beste, aber einen Namen wie diesen… nein, den habe ich nie gehört. Sagt mir, wer ist dieses Mädchen?«
    »Jemand, den ich vor einigen Tagen getroffen habe«, entgegnete Hagen geschwind, ohne etwas preiszugeben.
    »Sie muß über ein edles Wesen verfügen, wenn Ihr Euch nach ihr erkundigt, ohne sie je gesehen zu haben.«
    »Ein edles Wesen, ja«, gab Hagen tief in Gedanken zurück.
    Morten kicherte. »Nun, ich sehe schon, Ihr wollt mir nicht mehr davon erzählen. Ich bin ein Priester und wäre Euch in diesen Belangen ohnehin kein guter Ratgeber.«
    Bemüht, so schnell wie möglich das Thema zu wechseln, fragte Hagen: »Was gedenkt Ihr eigentlich zu tun, wenn Räuber vom Fluß aus über Zunderwald herfallen? Das Gold liegt hier oben vollkommen unbewacht.«
    »Oh, sie werden es nicht so einfach haben, wie Ihr glauben mögt, mein Freund.« Morten kramte lautstark zwischen irgendwelchen Gegenständen, dann drückte er Hagen einen langen Holzstab in die Hand. »Mein treuer Speer«, erklärte er. »Er hat mir auf meinen Reisen gute Dienste geleistet. So manchen Wegelagerer habe ich damit in die Flucht geschlagen, das dürft Ihr mir glauben. Wenn wirklich Räuber kommen und sich am Gold der Kirche vergreifen wollen, nun, dann sollen Sie kommen und sich Ihre Abreibung holen.«
    Die kindliche Selbstüberschätzung des Priesters rührte Hagen zutiefst. Er tastete an dem Speer entlang und fand an seinem Ende eine scharfe, langgezogene Spitze, fast wie die Klinge eines Kurzschwertes.
    »Wenn Ihr wollt«, sagte Morten, »dann behaltet ihn für eine Weile als Stock. Ich brauche ihn im Augenblick nicht, und er scheint mir besser geeignet als der krumme Ast, den Ihr aufgelesen habt.«
    »Glaubt Ihr, daß das nötig ist? Ich meine, hier oben im Haus brauche ich keinen Stock und –«
    »Ach, was«, fiel Morten ihm ins Wort. »Nehmt ihn schon. Ihr seht aus wie ein Krieger, ganz gleich ob blind oder nicht, und Ihr werdet schon wissen, wie man mit so einem Ding umzugehen hat, ohne daß Ihr einem von uns damit den Bauch aufschlitzt.«
    »Ihr seid ein wahrlich guter Mensch, Bruder Morten.«
    »Alle Menschen sind gut, Freund Hagen, nur daß manche es besser zu verbergen wissen als andere.«
    »Wie lange seid Ihr schon Priester?« Hagen rammte die Spitze des Speers in den Boden, damit er ihm mehr Halt geben konnte.
    »Über dreißig Jahre.«
    »Und Ihr habt es nie bereut?«
    Leise Erheiterung sprach aus Mortens Stimme. »Es gab die ein oder andere Versuchung des Fleisches, wenn es das ist, worauf Ihr hinauswollt. Aber das ist lange her. Damals war ich jung und noch nicht so gefestigt im Glauben wie heute.«
    »Hattet Ihr jemals mit Geistern zu tun?« Hagen sprach das Wort nur mit Widerwillen aus. Zu nahe war der Fluß, zu nahe der Siebenschläfer.
    »Abgesehen vom Heiligen Geist, meint Ihr?« Morten zögerte kurz, dann fuhr er fort: »Hin und wieder hat man mich gebeten, eine Austreibung vorzunehmen. Man

Weitere Kostenlose Bücher