Nibelungen 02 - Das Drachenlied
wir uns trennen.«
»Trennen?« Hagen starrte hochmütig zurück. »Glaubt Ihr denn, es könnte Euch gelingen, allein gegen die Männer dort draußen zu bestehen?«
»Genausowenig wie Euch. Eure Wunde näßt und entzündet sich. Wie schnell könnt Ihr noch laufen, Ritter? Gegen wen wollte Ihr kämpfen, wenn es dazu kommt? Gegen den toten Drachen?«
Hagen seufzte leise. »Was also gedenkt Ihr zu tun, Frau Räuberin?«
Sie fragte sich, ob er ihr durch die Betonung ihrer Vergangenheit zu verstehen geben wollte, wie lange es her war, daß sie zuletzt eine solche Entscheidung getroffen hatte. Plötzlich fühlte sie wieder die Last der Verantwortung – wenigstens für Löwenzahn und sich selbst –, und Zweifel brachen über sie herein. Vielleicht war sie wirklich zu alt. Vielleicht sollte sie das tun, was Hagen wollte. Aber sie zweifelte nicht, daß Alberich dann den Tag nicht überleben würde.
Es sei denn, so kam es ihr in den Sinn, daß Hagen mehr an dem Horthüter lag, als er zugeben wollte. War es nur das Gold, auf das er aus war? Hatten ihn die Schätze des Geweihten hierhergeführt, ohne Wissen seines Königs? War es jetzt der Nibelungenhort selbst, der ihn lockte?
Mit einem scharfen Blick in die Augen des Ritters erklärte sie ihren Plan.
Kapitel 5
it versteinerter Miene stand Alberich am Fuß der hohen Seilwinde und beobachtete die Vorbereitungen der Krieger. Eben noch hatten sie geflucht über die geringe Menge von Drachenblut, die sich im Auffangbecken gesammelt hatte; jetzt aber schienen sie ihre Enttäuschung vergessen zu haben und machten einen von ihnen für den Abstieg in die Tiefe bereit. Sie legten ihm eine Seilschlinge um, die ihn sicher tragen sollte, dann schwangen sie ihn über die Kante und ließen ihn langsam an der Winde hinab.
Der Geweihte stand einige Schritte abseits seiner Männer und beobachtete erhobenen Hauptes deren Mühen. Äußerlich wirkte er überlegen und ruhig, aber Alberich spürte, wie verzehrend die Gier in ihm brannte.
Die Männer hatten nicht auf den Befehl ihres Anführers gewartet, sondern auf eigene Faust mit den Vorbereitungen für den Abstieg begonnen. Alberich hatte den Geist der Rebellion gefühlt, der in der Luft lag. Und er hatte begriffen, daß der Geweihte die Sklaven nur aus einem einzigen Grund geopfert hatte: um seine Männer auf andere Gedanken zu bringen und ihre Wut von ihm selbst abzulenken. Er konnte nicht riskieren, daß sie ihn der Lüge überführten – denn nichts anderes war es gewesen, als er jedem von ihnen ein Bad im Drachenblut versprochen hatte. Eine Meuterei aber war das letzte, das er in diesem Augenblick gebrauchen konnte.
Trotzdem verstand Alberich noch immer nicht die weiteren Pläne des Geweihten. Warum der Tunnel in den Kadaver des Drachen? Und was hatte er, Alberich Horthüter, damit zu schaffen?
»Langsamer!« rief einer der Krieger, der auf dem Bauch am Rand der Klippe lag und über sie hinaus in den Abgrund blickte. »Er ist gleich da.«
Andere gesellten sich neugierig neben ihn und schauten gleichfalls hinunter. »Jetzt steigt er ins Becken«, brüllte einer erwartungsvoll den Zurückgebliebenen an der Seilwinde zu.
Alberich sah, daß ein bitteres Lächeln über das Gesicht des Geweihten zuckte. Oder war es wieder nur ein Schattenspiel der Hornspitzen? Nein, er war ganz sicher: Etwas erheiterte den Geweihten.
Ein qualvoller Schrei drang aus der Tiefe empor, erst nur verhalten, dann in plötzlichem Begreifen so gellend, daß einige der Männer die Hände vor die Ohren schlugen. Er wurde nicht leiser, ganz im Gegenteil; der Mann stürzte also nicht. Irgend etwas anderes war geschehen.
Alberich sprang vor, robbte an die Felskante und blickte nach unten.
Zum ersten Mal sah er das Becken und das Blut darin.
Er sah auch das, was das Blut aus dem Mann gemacht hatte.
Der Krieger hatte sich am Seil direkt in das rechteckige Becken geschwungen und war mit den Stiefeln darin zum Stehen gekommen. Das dunkelrote Blut des Drachen reichte ihm bis zu den Knöcheln. Wie unsichtbares Feuer hatte es sich in Windeseile durch Leder, Fleisch und Knochen gebrannt und die Füße des kreischenden Mannes verzehrt. Alberich sah noch, wie der Krieger nach vorne stürzte, sich mit Knien und Fingern im Blut aufstützte. Seine Hände und Unterschenkel zerfielen zu braunem Schlamm. Er begann in höchster Qual zu strampeln und um sich zu schlagen, rollte dabei mit Brust und Gesicht in die zähe Brühe. Seine Schreie verstummten, als das
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