Nibelungen 02 - Das Drachenlied
Drachenblut seine Kiefer zerfraß.
Augenblicke später erinnerten nur noch blasige Schlieren auf der Oberfläche an den Mann.
Einige Atemzüge lang herrschte völlige Stille. Niemand rührte sich, keiner wagte zu sprechen.
Dann, auf einen Schlag, brachen Chaos und Entsetzen über die Krieger herein. Jähes Begreifen zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab. Die an der Kante gelegen hatten sprangen auf, einer zog gar sein Schwert, als wolle er seinen Zorn damit in Stücke schlagen. Allmählich ordnete sich das wilde Durcheinander zu einer einzigen Anschuldigung: »Betrug!« rief einer und deutete dabei auf den Geweihten.
Alberich dachte, dies sei ein feiner Weg, alle seine Sorgen loszuwerden. Die Krieger würden ihren eigenen Herrn angreifen, einige würden sich auf seine Seite stellen, und am Ende meuchelten sich alle gegenseitig. Ja, das wäre eine gute Sache gewesen.
Aber natürlich war das Schicksal anderer Ansicht.
»Haltet ein!« rief der Geweihte; ihm waren wohl ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen. »Ihr laßt euch von eurer Ungeduld leiten. Warum mußte einer von euch dort hinuntersteigen, ohne meinen Befehl abzuwarten? Warum verzehrt euch die Gier nach etwas, das ihr längst besitzt? Das Blut des Drachen ist unser, und niemand kann daran etwas ändern.«
»Aber es tötet uns!« brüllte einer erzürnt, fuhr aber zusammen, als der Blick des Geweihten ihn traf.
»Nein! Es ist eure Ungeduld, die euch tötet. Das Blut muß behandelt werden, mit der Magie des Alten Volkes. Mit einer Magie, die allein unser Zwerg hier besitzt!« Dabei deutete er triumphierend auf den verwirrten Alberich, der gleich den Kopf zwischen die Schultern zog.
Aller Augen richteten sich auf ihn. Einige abschätzig, andere mit unverhohlener Wut. Aus manchen sprach sogar Neid, und es waren jene, die Alberich die größte Furcht einflößten.
»Was wollt ihr von mir?« fragte er kleinlaut. Wenn er seine Geißel noch gehabt hätte, dann hätte er ihnen gezeigt, was in ihm steckte. Aber unbewaffnet, einer vielfachen Übermacht von Menschen ausgeliefert, die allesamt doppelt so groß waren wie er selbst – was blieb ihm da schon, als klein beizugeben?
Zwei Krieger sprangen vor und packten ihn grob an den Armen. »Was sollen wir mit ihm tun, Herr?«
Ihr Vertrauen in die Worte des Geweihten schien nach wie vor unerschütterlich. Alberich wehrte sich nur halbherzig. Von einem Augenblick zum nächsten war die Treue der Männer wiederhergestellt, keiner schien die Worte des Geweihten in Frage zu stellen. Jeder Gedanke an Meuterei war wie ausgelöscht.
Statt dessen richteten sich Zorn und Gier der Krieger nun auf den Zwerg.
Der Geweihte bemerkte es mit Genugtuung. »Bindet ihn an die Seilwinde. Dann laßt ihn hinunter. Er soll uns einen Krug voll Drachenblut heraufbringen.«
»Ihr wollt, daß es mir ebenso ergeht wie Eurem Krieger?« rief Alberich voller Entsetzen aus, doch die Worte gingen im Lärm der Kriegerschar unter, die gleich mit einer Vielzahl von Händen daran ging, den Befehl ihres Herrn in die Tat umzusetzen.
Wenige Augenblicke später wurde er mit einem hölzernen Eimer in der Hand über die Kante gestoßen. Er schrie auf, als er die ersten zwei Schritte in freiem Fall in die Tiefe sauste, dann hielt ihn die Seilschlaufe mit einem grausamen Ruck in der Schwebe. Seine Brust und seine Schultern schienen in Flammen zu stehen, so schrecklich war der Schmerz, als sich der Strick um seine Glieder zusammenzog. Einen Moment lang fürchtete er, sein ganzer Leib würde auseinandergerissen, doch dann ließ der Schmerz schlagartig nach. Mit strampelnden Beinen wurde Alberich in den Abgrund herabgelassen.
Sein Verstand arbeitete fieberhaft. Geist hatte recht gehabt mit ihrem Vergleich, daß die Klippe wie ein Vogelschnabel vorsprang. Die Felswand fiel nicht gerade nach unten ab, sie wölbte sich vielmehr unterhalb des Plateaus nach innen. Alberich würde am Seil hin- und herschwingen müssen, um den Rand des Auffangbeckens zu erreichen. Das Schwindelgefühl machte ihn ganz verrückt, die Landschaft um ihn herum verschwamm zu grellem Farbflackern. Weit, weit unter ihm umspülte der Rhein den Fuß der Klippe. Die Leichen der Sklaven waren verschwunden, die Strömung mußte sie fortgerissen haben.
Und wenn sie doch noch da waren, gleich unter der Oberfläche? Wenn Alberich in die Tiefe stürzte und den Aufprall überlebte – nur um dann von eisigen Totenhänden zum Grund des Flusses gezerrt zu werden? Diese Vorstellung nahm auf
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