Nibelungen 03 - Die Flammenfrau
die Kleine zu unterrichten. Alles, was sie ihr sagte, nahm das Kind mit großer Neugierde auf.
Arma wischte mit der Hand ein wenig über den Boden, suchte und wählte einen neuen Stein aus. »Versuche diesen und entscheide dich für den Besseren«, sagte sie.
Das Mädchen hielt die beiden Steine in ihren kleinen Händen, öffnete und schloß eine Faust darüber und neigte abwägend den Kopf.
»Ich glaube, dieser ist besser«, sagte sie und reichte der Kriegerin den ersten Stein. Das Kind warf den anderen Stein wieder auf den Boden und schaute die Kriegerin erwartungsvoll an. »Darf ich jetzt werfen?«
»Nicht so schnell.« Arma kniete sich nieder, damit sie dem Mädchen in die Augen sehen konnte. »Erinnerst du dich noch,« sagte sie, »was ich dir über das Ziel gesagt habe?«
Auf der Kinderstirn bildete sich eine schmale Falte. Voller Sorgen blickte Brunhild auf den Felsen, den Arma vorhin als Ziel auserwählt hatte. »Du hast gesagt, ich soll es mir zum Freund machen, genau wie den Stein.«
»Ja, richtig. Am besten stellst du dir vor, der Stein sei ein Vogel, und du mußt ihm sagen, wo er für dich landen soll. Siehst du, ich werde es dir vormachen.« Arma hob einen Stein vom Boden auf und drehte ihn in ihren Händen, dann schaute sie auf den Felsen, der gute dreißig Schritte entfernt war, und holte aus. Klirrend landete der Kiesel auf dem Felsen.
»Jetzt du«, sagte sie und lächelte die Kleine aufmunternd an.
Das Kind holte ebenfalls weit aus. Mit großen Augen schaute sie ihrem Kiesel hinterher. Er verfehlte nur knapp den Felsen.
»Das hast du gut gemacht«, lächelte Arma. »Wenn du erst die Zauberwörter der Gwenyar beherrschst, die dir die Priesterin beibringen wird, dann wirst du im Steinwerfen kaum noch zu schlagen sein.«
»Aber ich will diese dummen Wörter nicht lernen«, maulte Brunhild und legte wieder die Stirn in Falten. »Diese Worte sind so schwer, daß sie nicht in meinen Kopf wollen.«
Arma lachte. »Ich weiß, sie sind wirklich nicht leicht. Aber du wirst sie lernen müssen. Jedes einzelne der alten Zauberwörter und Zauberlieder der Gwenyar wirst du lernen.«
»Nein, ich will nicht!« Trotzig stampfte die Kleine mit dem Fuß auf.
Arma machte spielerisch ein besorgtes Gesicht. »Und wer soll dann die nächste Hüterin des Feuers werden?«
»Das ist mir egal.« Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ich jedenfalls nicht.«
»Aber warum nicht?«
»Ich mag kein Feuer, es hat mir weh getan.« Sie hielt der Kriegerin ihren ausgestreckten Zeigefinger hin.
Arma küßte den kleinen Finger. Brunhild hatte wirklich eine Brandblase. »Wenn du die dummen Wörter der Gwenyar lernen würdest«, sagte sie. »Dann würde das Feuer dir nichts tun.«
»Dann tut es mir nicht mehr weh? Nie mehr?«
»Nein, wenn du die Hüterin bist und die Gwenyar dir den Rubin bringen, dann kann das Feuer dir nichts mehr tun.«
Nachdenklich kaute die Kleine auf ihrer Lippe herum. »Vielleicht werde ich dann doch ein paar von diesen Wörtern lernen.« Sie schaute die Kriegerin voller Ernst an. »Aber nicht heute! Ich will jetzt zurück.«
»Gut, dann lauf schon vor, ich werde noch ein wenig Spazierengehen«, sagte Arma. Sie schaute der Kleinen nach, bis sie in einem der nahen Höhleneingänge verschwand. Wahrscheinlich würde sie sofort zur alten Ramee laufen und sich von ihr eine neue Geschichte erzählen lassen.
Der Göttin sei Dank, wußte die Alte eine Menge Geschichten, und falls ihr wirklich keine mehr einfiel, würde sie eine neue erfinden, nur um Brunhild glücklich zu machen. Das Kind hatte die meisten Leute hier am schwarzen Wasserfall sehr verändert. Es gab nicht viele Kinder im alten Volk, um so kost barer war daher die Anwesenheit eines solch erlesenen Schatzes. Alle liebten die Kleine sehr; sie war hier eine kleine Königin, und Arma hatte alle Hände voll zu tun, daß das Kind nicht zu sehr verwöhnt wurde.
Die Kriegerin wandte sich um und ging über den grünen Hügel zu den nahen Wiesen. Vielleicht würde sie Aysar dort treffen. Als Luovanas Leiche mit dem Schiff zu den Gärten der Gwenyar gereist war, hatte Arma nicht gewollt, daß die Stute sie begleitete. Doch die Priesterin der Gwenyar verbot ihr, ein lebendes Wesen auf das Schiff zu bringen. Arma brachte es nicht über sich, die Stute zu töten, und so hatte sie das Tier freigelassen. Aber das Pferd war nicht fortgelaufen, sondern nah bei den Höhlen des alten Volkes geblieben. Wann immer Arma Zeit fand, besuchte sie die Stute. Die
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