Nicht ohne Beruf (German Edition)
war. Sie ging mit mir fast täglich an das kleine Grab, die Blumen zu gießen.
Nach dem Mittagessen vom edlen Mei ßner Porzellan mit dem ‚Zwiebelmuster’ durften wir uns nach draußen begeben. Meine großen Schwestern, die schon ganz andere Interessen hatten, zogen mit Freundinnen von dannen und ließen mich Kleine an ihren Vorhaben nicht teilnehmen.
Aber von wegen sonntags auf der Straße lärmen, das gab es nicht; denn der Schutzmann, wie ein Polizist eben genannt wurde, patrouillierte durch sein Revier und sorgte für Ruhe. Was also anfangen ohne zu lärmen? Über meinem Sonntagskleid trug ich noch ein zartes weißes Batistschürzchen mit vielen Rüchen und Schleifen. Darin fühlte ich mich gar nicht wohl, denn ein Baugerüst in der Nähe musste erklommen werden, was dem Schürzchen gar nicht gut bekam.
Meine Mama hatte eine leichte Hand!
An den Sonntagnachmittagen ging Mama oft mit uns drei Schwestern, Dorchen, Gretel und mir, spazieren, hinaus in den am Stadtrand beginnenden Tannenwald. Tief im Wald war das ‚Waldcafé’, das Sommer wie Winter Spaziergänger zu Kaffee und Kuchen anlockte. Wohlgemerkt die, die es sich leisten konnten. Damals waren auch Brotmarken dafür nötig; einmal fand ich eine im Stadtpark, wo noch alle Abschnitte daran waren.
Für uns hatte Mama jedenfalls Bemmchen mitgenommen, die auf einer Bank verzehrt wurden. Ich mochte den Wald wegen der vielen Abwechslungen. Doch einmal hatten die Großen mich hineingelegt. Sie gaben mir eine Dose, die ich öffnete. Huch wie die Maikäfer schwirrten- und mir prompt ins Gesicht. Die Großen lachten darüber, mir war nicht danach.
Mama hielt Ausschau nach edlen Pilzen, die das Abendbrot bereicherten.
Ein ganze anderes Sammelsurium wurde noch aus dem Wald heim getragen: Tee aller Sorten. Daheim angekommen, hieß es nach dem Abendbrot ‚Ab in die Federn!’. Der nächste Tag war ja Schultag.
Wenn Backtag war, wenn die ‚Bebe’, sächsisch für Königskuchen, ein Rührk uchen, für den Sonntag gebacken wurde, gab es immer ein Hallo. Wer darf die Teigschüssel ausputzen? Um Streit zu vermeiden, ging es reihum, jeder kam mal in den Genuss. Mit Absicht ließ Mama stets einen großen Rest in der Schüssel.
Mein Vater, im Krieg bei der Marine, war zu dieser Zeit noch nicht wieder zu Hause. Ich kannte ihn gar nicht, da sein letzter Urlaub weit zurück lag.
Als er eines Tages heim kam, erkannten wir das an dem großen Seesack in der Wohnung. Was gab es da alles zu bestaunen. Meine beiden Schwestern bekamen Bernsteinketten, ich eine aus Korallen, die ich noch heute mit 91 Jahren in meinem Besitz habe, trotz Flucht 1958 aus der damaligen DDR gen Westen.
Damals, unmittelbar nach Vaters Rückkehr aus dem Krieg, hatten wir ein wirklich schönes Familienleben. Ich kann mich erinnern, dass er daheim war, wenn meine Schwestern Schularbeiten machten. Oft lauschte ich, wenn sie sich gegenseitig abhörten beim Gedichte Lernen. Gehörtes blieb in meinem Kopf hängen, so der Erlkönig, der Taucher oder Schillers Glocke. Damals war auch Papá, so wurde er angesprochen, noch unserer Familie verbunden und hörte gern zu. Beim Malen ergänzte er sehr gekonnt unsere Skizzen. Er konnte wirklich gut zeichnen, vor allem Pferde.
Ein Weihnachtsfest aus dieser Zeit, als wir noch eine richtige Familie waren, ist mir in Erinnerung geblieben. Es war wohl kurz nachdem Papá aus dem Krieg heim gekommen war und noch Sinn für Familie hatte. Unsere Eltern waren in der Wohnstube mit den Vorbereitungen beschäftigt, wir Kinder mussten in der Schlafstube, damals hieß sie Kammer, hinter verschlossener Tür warten. Vergeblich versuchten wir, durchs Schlüsselloch einen Blick zu erhaschen. Dann der Augenblick der Bescherung! Ein schön geschmückter Tannenbaum, darunter die Geschenke. Es war ja karge Nachkriegszeit. Mama hatte für meine Puppe ein langes Kleid genäht, der Rock blau mit weißen Punkten, das Oberteil ganz weiß. Nähen konnte meine Mutter perfekt.
Es ist das einzige Weihnachtsfest, an das ich mich erinnere, denn das friedliche Familienleben hielt nicht lange. Vater interessierte sich für das Leben außerhalb, engagierte sich auch politisch. Damals wurde noch 52 Stunden gearbeitet, und die Männer kämpften für die 48-Stunden-Woche. Die Familie blieb auf der Strecke.
Am Sonntagvormittag nahm er mich auch öfters mit, doch das Ziel war dann stets ein Lokal, nun, eher eine Kneipe, wo er sich erst einmal ein Glas Bier reichen ließ. In einer dieser
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