Nicht ohne Beruf (German Edition)
und sie verkündet, dass sie es alleine geschafft habe. Mit 91 Jahren! Muss man auf so eine Mutter nicht stolz sein?
Ich denke, für diesmal waren wir wieder gegen die Verblichene erfolgreich.
Nutzen wir die Zeit und nehmen Teil an L enis Erinnerungen!
Erinnerungen einer 91-Jährigen
Kindheit in Freiberg (Sachsen)
Zuerst wäre eine Frage des Aberglaubens zu klären: Ist die Zahl Dreizehn für gut oder für schlecht zu halten?
Das Jahr 1913 ist mein Geburtsjahr. Was resultierte nicht alles d araus für mich!
Mein Geburtsort ist Freiberg (Sa.), die Freie auf dem Berg! Ehemals eine durch Silberbergwerke reiche Stadt.
Im September 1913 tat ich den ersten Atemzug. Als ich knapp ein Jahr alt war, begann der erste Weltkrieg.
B is zu seinem vierten Lebensjahr hat man ja kaum Erinnerungen, doch dann nimmt man an Umgebung und Ereignisse wahr.
Das Leben der Stadt spielte sich um diese Zeit im Zentrum ab, das von einer dicken Mauer eingeschlossen war, mit Wehrtürmen aus de m Mittelalter .
Ich war vier , fünf Jahre alt, wir wohnten in einem Haus, dessen Besitzer eine Bäckerei betrieb. Für das kinderlose Ehepaar war ich wohl ein bisschen Ersatz. In ihrer Backstube war ich wie zuhause. Viele Kuchenrinden durfte ich aussuchen. Auch zum Sommerfest der Bäckerinnung nahmen sie mich mit.
In der damaligen Zeit gab es ja noch keine elektrische Beleuchtung in den einfachen Wohnungen. Bei uns spendete eine schöne Petroleumlampe abends gemütliches Licht.
Später, während meine großen Schwestern Dora und Gretel zur Schule gingen, bekam ich daheim die Sorgen und Nöte der Mutter, besonders kurz vor Kriegsende, schon mit: Was kommt auf den Tisch?
Ja, was kam? Scheußliches! Dörrgemüse aus einem stinkenden Sack! Ich glaube, jedes Schwein hätte das als Futter abgelehnt. Eines Nachts hieß es, ‚das Lager brennt’! Wir raus aus den Betten, um uns zu überzeugen, ob es denn auch wirklich die Halle mit diesem Schweinefraß war. Jemand muss also mit Freuden gekokelt haben, bis die Flammen den Fraß auffraßen. Die Menschen vollführten einen Freudentanz.
Ich sehe mich, als wäre es heute, vor dem Milchladen stehen, eine Riesenschlange von Wartenden. Ob ich überhaupt noch einen Tropfen Milch bekam, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.
Unser Brotaufstrich bestand aus Leinöl und Mehl, ‚Leinölbutter’. Meine arme Mama, wie sie improvisieren musste!
Da fällt mir ein, was ich einmal mit meiner Brotschnitte anstellte. Zum Abendbrot gab es, wie gesagt, eine ‚Bemme’, sächsisch für ein Stück Brot. Es hieß: ‚Erst aufessen!’, dann durfte ich noch ein Weilchen zu den anderen Kindern zum Spielen auf die Straße. Das dauerte mir aber zu lange. Meine Mama hantierte in der Küche, ich schnell mein Brot auf den Kopf gelegt, ihr die leeren Hände gezeigt, und husch war ich draußen. Wenigstens an der Haustür.
Da die Bäckerei im Erdgeschoss lag, kam en ob der guten Kuchendüfte im Sommer auch Wespen geflogen. Beim Herumhüpfen stach mich eine unsanft. Na, das gab einen geschwollenen Fuß. Wir liefen im Sommer ja barfuß. Schuhe, die gab es nur für kältere Jahreszeiten.
Sonntags wurden wir zum Kindergotte sdienst geschickt, ich und meine beiden Schwestern, eine vier, die andere sechs Jahre älter als ich. Wir wohnten in der Nähe des berühmten Freiberger Doms. Nach dem Kindergottesdienst verabschiedeten wir uns vom Superintendent mit Handschlag. Vor uns die Jungs, die alle eifrig ihren Diener machten. Dann wir Mädchen. Ich als kleinste war zuerst dran. Anstatt meinen Knicks zu machen, was tat ich? Auch einen Diener. Meine Schwestern lachten sich kaputt und ich schämte mich. Der Freiberger Dom, in dem ich auch getauft und später konfirmiert wurde, ist berühmt wegen seiner Goldenen Pforte, der Silbermann-Orgel, der Tulpenkanzel und anderer Schönheiten.
Vor der Goldenen Pforte steht ein Wasserbecken, wo wir als Kinder unsere gebastelten Papierschiffchen schwimmen ließen.
Meine Mama hatte immer ihren Fitz, ihren Drasch, dass wir ordentlich aussahen, und bügelte stets unsere Kleider. Drei Mädchen musste sie die Zöpfe flechten. Manchmal flocht sie uns Strähne für Strähne einen Friedenskranz.
Eigentlich waren wir vier Mädchen und waren Mamas ganzer Stolz. Hanna hatte am selben Tag Geburtstag wie ich, war aber zwei Jahre älter. Als ich noch sehr klein war, erkrankte sie an Diphtherie und starb, was für Mama sehr schmerzlich
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