Night School. Der den Zweifel sät (German Edition)
ansah, musterte er sie interessiert. Es gefiel ihr nicht, dass sein Blick sie immer noch so aus dem Konzept bringen konnte.
»Worum geht’s?«
»Also … ich hab dich.« Seine elektrisch blauen Augen hielten ihrem Blick stand.
Sie wich zurück und warf erneut einen raschen Blick zur Tür. »Was meinst du damit: Du hast mich?«, flüsterte sie. »Inwiefern?«
Er beugte sich vor und senkte die Stimme.
»Ich hab dich zugeteilt gekriegt. Zum Befragen. Für die Night School.« Er streckte die offenen Hände aus. »Ich hab dich.«
Vierzehn
»Neunzehnhundertfünfundzwanzig war ein besonders fruchtbares Jahr für die amerikanische Literatur«, dozierte Isabelle, an ihr Pult gelehnt. »In diesem Jahr erschien neben vielen anderen Romanen
Der große Gatsby
, den F. Scott Fitzgerald als sein Hauptwerk betrachtete und ›als der Wirklichkeit nahekommende Imagination einer aufrichtigen und doch hell leuchtenden Welt‹ beschrieb. Ich sehe darin eher ein Lehrstück, ein Buch über einen guten Menschen, der von seiner korrupten Umgebung verführt wird.« Sie richtete sich auf und schritt den Tischkreis ab. »Was ich von euch wissen möchte, ist, ob dieser gute Mensch auch am Ende der Geschichte noch gut ist und ob er es am Anfang überhaupt war.«
Allie, die den Unterricht heute eher über sich ergehen ließ, umkringelte die Überschrift in ihrem Notizblock und malte einen Stern daneben. Als Isabelle weitersprach, wanderten Allies Gedanken zum gestrigen Abend zurück. Wie wütend Carter gewesen war, als er von der Sache erfuhr.
Kurz nachdem sich Sylvain verabschiedet hatte, war Carter mit zwei dampfenden Tassen Tee zurückgekehrt. Beruhigend und normal hatte er ausgesehen … eben ganz wie Carter.
Allie wartete, bis er sich gesetzt hatte, ehe sie ihm die Neuigkeit erzählte. Bei Carter waren ihr die Regeln egal. Er war so eifersüchtig auf Sylvain, dass er ihr ja neulich erst regelrecht verboten hatte, mit ihm abzuhängen. Wenn sie Carter das jetzt verschwiegen und er es später hintenrum erfahren hätte, hätte er ihr niemals verziehen.
Carter blieb ganz ruhig, ohne zu schreien oder vor Wut auszurasten. Es war schlimmer. Still und bleich, mit angespannten Nackensehnen saß er da, ohne einen Mucks zu tun.
Nach einer langen Pause sagte er leise: »Ich werde mit Zelazny reden.«
»Aber … Also, Sylvain« – bei dem Namen zuckte Carter zusammen, doch sie ließ sich nicht beirren – » sagt, er hätte Jerry und Zelazny schon gebeten, ihm jemand anderen zuzuteilen. Sie haben aber abgelehnt. Deshalb hat er so lange damit gewartet, es mir …«
»Großartig«, unterbrach Carter sie mitten im Satz. Er schob die Hände tief in die Hosentaschen und starrte mit eisigem Blick nach unten.
Ein Wunder, dass der Boden nicht gefriert.
»Wird bestimmt keine große Sache«, hatte sie gesagt, um die Sache weniger schlimm erscheinen zu lassen. »Nur eine kurze Befragung, ein Nachmittag nur. Dann ist es vorbei.«
Doch Carter hatte sich nicht besänftigen lassen. »Die spielen ja wirklich Katz und Maus mit uns«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Ohne ihren Vortrag zu unterbrechen, tippte Isabelle im Vorbeikommen mit den Fingern so laut auf ihre Schreibtischplatte, dass Allie aufschreckte. Die Rektorin warf ihr einen warnenden Blick zu und ging weiter. Allie setzte sich aufrecht hin und versuchte, dem Unterricht zu folgen. Doch sie spürte eine Enge in der Brust, als schnürte ihr die Sorge, die sich dort eingenistet hatte, die Lunge ab.
Nach dem Unterricht wollten Carter und sie sich an seine Befragung machen.
Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte die Stunde gerne ewig dauern können. Doch da ertönte auch schon der Gong.
»Holt euch bitte in der Bibliothek eure Kopien ab«, rief Isabelle in den Aufbruchslärm der Schüler hinein. »Sie liegen abholbereit bei Eloise. Ich möchte, dass ihr bis morgen die ersten drei Kapitel gelesen habt, damit wir darüber sprechen können. So, jetzt könnt ihr gehen.«
»He, Allie, ich geh zum Kickboxen, hast du Lust mitzukommen?«, fragte Zoe beim Herausgehen und sah sie erwartungsvoll an.
Nichts lieber als das.
Jetzt etwas zu Klump hauen, genau danach stand ihr der Sinn.
»An sich, gern. Aber ich hab schon was vor.« Das Bedauern in Allies Stimme war so spürbar, dass Zoe sie kurz komisch ansah, bevor sie ihrer Wege ging.
»Kein Problem – bis später.«
Vor dem Klassenzimmer lehnte Carter an der Wand und wartete auf sie, abseits der Schülermassen, die über den Flur
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