Nacht des Begehrens - Cole, K: Nacht des Begehrens
Prolog
Bisweilen legt sich das Feuer, das ihm die Haut von den Knochen frisst.
Es ist sein Feuer. Im geheimsten Winkel seines Verstandes, der immer noch zu rationalem Denken fähig ist, ist er fest davon überzeugt. Es ist sein Feuer, weil er es über Jahrhunderte hinweg mit seinem zerrütteten Körper und seinem vermoderten Geist genährt hat.
Vor langer Zei t – wer weiß, wie viel Zeit sich inzwischen dahingeschleppt ha t – hat ihn die Vampirhorde in diese Katakomben tief unter Paris eingesperrt. Er ist mit Ketten an einen Felsen gefesselt. Der Hals sowie Arme und Beine sind an jeweils zwei Stellen an den Stein gekettet, vor ihm: ein Feuer speiendes Tor zur Hölle.
Hier wartet und leidet er. Er wird als Opfer einer Feuersäule dargeboten, die manchmal schwächer wird, aber niemals erlisch t – genauso wenig wie sein Leben. Sein Dasein besteht einzig und allein darin, wieder und wieder in den Flammen umzukommen, nur um durch seine Unsterblichkeit stets aufs Neue ins Leben zurückgerufen zu werden.
Immer wieder hat er sich in allen Einzelheiten ausgemalt, wie er Vergeltung üben wird. Die Wut in seinem Herzen zu schüren ist alles, was ihm geblieben ist.
Bis sie kam.
Im Lauf der Jahrhunderte erlauschte er bisweilen unheimliche neue Dinge auf den Straßen über ihm. Zuweilen konnte er riechen, wie sich die Jahreszeiten in Paris veränderten. Aber jetzt hat er sie gewittert, seine Gefährtin – die eine Frau, die nur für ihn geschaffen ist. Die eine Frau, nach der er tausend Jahre lang ohne Unterlass gesucht hatt e – bis zum Tag seiner Gefangenschaft.
Die Flammen sind zurückgegangen. In diesem Augenblick weilt sie irgendwo über ihm, dort oben. Es ist genug! Ein Arm spannt sich gegen seine Fesseln, bis das schwere Metall tief in seine Haut schneidet. Erst rinnen einige Blutstropfen, dann läuft es in Strömen. Alle Muskeln seines geschwächten Körpers kämpfen gleichzeitig, um das zu erreichen, was ihm seit einer Ewigkeit versagt blieb. Für sie kann er es schaffen. Er mus s … Sein Gebrüll verwandelt sich in ersticktes Husten, als er zwei seiner Fesseln sprengt.
Er hat keine Zeit, ungläubig zu bestaunen, was ihm gelungen ist. Sie ist so nahe, dass er sie fast spüren kann. Er braucht sie. Es gelingt ihm, seinen anderen Arm loszureißen.
Mit beiden Händen packt er das Metall, das tief in seinen Hals schneidet. Er erinnert sich noch undeutlich an den Tag, als der lange, starke Bolzen mit einem Hammer eingeschlagen wurde. Ihm ist bewusst, dass dessen beide Enden mindestens einen Meter tief in den Fels reichen. Seine Kraft schwindet, aber nichts kann ihn aufhalten, jetzt, wo sie so nahe ist. In einer Wolke aus Staub und Gesteinsbrocken löst sich das Metall, durch den Rückstoß fliegt es quer durch den höhlenartigen Raum.
Er zerrt an dem metallenen Band, das seinen Oberschenkel fesselt, bis er es, und auch das zweite um seinen Knöchel, losgerissen hat. Dann wendet er sich den letzten beiden zu, die sein anderes Bein festhalten. Er reißt daran, ohne an sich hinunterzublicken, in Gedanken sieht er sich schon als freier Mann. Nichts. Irritiert zieht er die Brauen zusammen. Er versucht es noch einmal, spannt alle seine Muskeln an, vor Verzweiflung laut stöhnend. Nichts.
Ihr Duft verfliegt schon wiede r – es bleibt keine Zeit . Ohne jedes Mitleid betrachtet er sein gefesseltes Bein. Er stellt sich vor, wie er sich in ihr verliert und jeglichen Schmerz vergisst. Er sehnt sich danach, in ihr alles zu vergessen. Mit bebenden Händen packt er sein Bein über dem Knie und versucht, den Knochen zu brechen. Seine Schwäche ist schuld daran, dass ihm dies erst nach einem halben Dutzend Versuchen gelingt.
Seine Klauen durchtrennen Haut und Muskeln, aber der Nerv, der an seinem Oberschenkelknochen entlangläuft, ist so angespannt wie eine Klaviersaite. Sobald er sich ihm auch nur nähert, schießt unvorstellbarer Schmerz hindurch, der in seinem Oberkörper explodiert, und alles um ihn herum wird dunkel.
Zu schwach. Der Blutverlust zu groß. Bald schon wird das Feuer wieder auflodern. Auch die Vampire kehren von Zeit zu Zeit zurück. Sollte er sie genau in dem Augenblick verlieren, in dem er sie endlich gefunden hat?
„ Niemals “, stößt er krächzend hervor. Er ergibt sich der Bestie, die in ihm schlummert, der Bestie, die sich mit ihren Zähnen die Freiheit erkämpft, die aus der Gosse trinkt und Abfall durchwühlt, um zu überleben. Er betrachtet die fieberhafte Amputation, als ob er aus der
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