Ninja-Rache
sich die Umrisse des ehemaligen Klosters ab.
Der Begriff ehemalig paßte Yakup zwar nicht, doch er hatte sich damit abfinden müssen, denn er sah, daß von den ehemals so stolzen Gebäuden nur mehr Reste übriggeblieben waren. Durch seine Seele flutete die Trauer, er riß sich zusammen und näherte sich mit langen Schritten dem Ziel.
Wo einst das Getreide auf den Feldern in vollem Wuchs gestanden hatte, breitete sich nun Unkraut und struppiges Buschwerk aus, das sehr schnell nachgewachsen war.
Wie verloren standen die Trümmer unter der blassen Wintersonne. Nichts mehr erinnerte an das damalige Leben zwischen den hohen Mauern. Auch der Turm, in dem Yakup sein Zimmer bewohnt hatte, war teilweise zusammengesackt.
Der Ninja nahm das Bild der Verwüstung, der Trauer in sich auf und stieg schon sehr bald über die ersten Reste hinweg, die einmal starke Mauern gewesen waren.
Er wußte noch sehr gut, wie er den Mittelpunkt des Klosters und damit auch die Wege erreichen konnte, die zu seinem Ziel tief unter der Erde führten.
Der Wind fing sich in den Resten, er blies in das Gesicht des einsamen Wanderers, als wollte er dessen Tränen trocknen, die in seinen Augen schillerten.
Nicht durch alle Lücken schien die Sonne. Sehr bald erreichte Yakup ein Gebiet, wo sich die Düsternis ausbreitete und herumliegendes Geröll ein normales Gehen unmöglich machte.
Hier führten auch mehrere Treppen zusammen, deren Stufen ebenfalls unter dicken Steinlawinen verschwunden waren.
Wenig später stand er vor dem Schacht. Durch eine Lücke im Trümmerwerk strahlte etwas Licht, das sich allerdings sehr schnell verlor. Innerhalb des hellen Schimmers tanzten unzählige Staubpartikel und es stank nach Verwesung, nach Fäulnis. Beides zusammen drang wie eine unsichtbare Wolke aus dem Schacht in die Höhe, in den sich Yakup würde hineingleiten lassen, was nicht so einfach war, denn er mußte sich in den über dem Schacht schwebenden Korb hineinstellen und die Physik des Flaschenzugs ausnutzen, damit er in die Tiefe gleiten konnte.
Der Flaschenzug bestand aus drei mit Kerben versehene Rollen, über die Seile liefen.
Yakup kannte sich aus. Er brauchte nur an einem bestimmten Seil zu ziehen. Dieser Mechanismus sorgte dann dafür, daß er in die Tiefe fuhr, ohne sich groß anzustrengen.
Auch der Korb war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Das war er eigentlich immer, und Yakup sah es auch nicht als das eigentliche Problem an. Er wußte nicht, ob dieses aus Weidengeflecht bestehende Behältnis auch sein Gewicht aushalten würde.
Yakup kletterte mit dem rechten Bein über den Schachtrand, der an die Umrandung eines alten Brunnens erinnerte, zerrte an den Seilen und war zufrieden, daß sie nicht zerfaserten.
Das wiederum gab ihm die Hoffnung, den Weg ohne Schwierigkeiten zurücklegen zu können.
Vorsichtig stieg er in den Korb. Er überprüfte dann den Boden, drückte einige Male mit den Füßen hart dagegen. Das Holzgestell des Flaschenzugs beschwerte sich ächzend, brach jedoch nicht zusammen. Für ihn war es so etwas wie das Startsignal. Noch einmal prüfte er die Festigkeit des Seils, nickte zufrieden und umklammerte anschließend ein bestimmtes, um daran zu ziehen, denn nur so konnte der Korb mit ihm in die Tiefe gleiten.
Es war kein Weg für Menschen mit schwachen Nerven. Die besaß Yakup sowieso nicht, erdachte vielmehr daran, daß Seile und Korb auch die doch relativ weite Strecke über halten würden. Mutterseelenallein ließ er sich in die stockfinstere Tiefe hinab. Auch früher hatte er nur den Weg fahren dürfen, keiner anderen Person war es erlaubt gewesen, aber damals waren seine Freunde noch da gewesen, heute befand er sich allein auf weiter Flur. Während der ersten Yards hatte der Korb noch geschaukelt. Das aber legte sich schnell, als Yakup das optimale Gleichgewicht gefunden hatte und immer tiefer glitt.
Das Zittern und Quietschen der Rollen störte ihn nicht. Seine Gedanken eilten bereits voraus in die Tiefe des Schachtes, wo sich der Keller ausbreitete wie eine gewaltige Gruft.
Er wußte ja, was ihn dort unten erwartete. Dort stand der geheimnisvolle Totenbaum mit den verwesten Leichen. Ihre Geister hatten ihn stets empfangen. Aber würden sie auch jetzt noch so reagieren wie damals?
Oder hatte sich auch bei ihnen etwas verändert?
Darüber mußte er einfach nachdenken, während er sich weiterhangelte. Er hatte stets eine bestimmte Zeitspanne gebraucht, um sein Ziel erreichen zu können.
Das war auch jetzt
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