Nur wenn du mich hältst (German Edition)
Computer.
Leicht verwirrt schaute die verhärmte, überarbeitet wirkende Frau mit den dünnen hellen Haaren zu ihm auf. Das Schild auf ihrem Tisch verriet, dass sie Mrs Jensen hieß.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln, das normalerweise selbst bei den übellaunigsten Frauen half. „Bo Crutcher“, sagte er. „Und das hier ist mein Sohn AJ Martinez. Ich habe vorhin angerufen. Wir möchten AJ anmelden.“
Das Lächeln brachte ihn nicht weiter. Sie verzog missbilligend den Mund, holte ein Klemmbrett heraus und reichte es ihm. „Das müssen Sie ausfüllen und unten mit Datum unterschreiben.“
Ihre schroffe Art irritierte ihn. AJ schien nicht überrascht, eher kleinlaut.
Bo war nicht unvorbereitet gekommen – Sophie hatte ihm geraten, alle Dokumente mitzunehmen, die er hatte. Er gab Miss Jensen den dicken Umschlag. „Hier sind seine Geburtsurkunde, sein Impfausweis, die letzten Zeugnisse sowie die Kontaktinformationen seiner alten Schule. Und eine Notfall-Vormundschaftsbestätigung. Er ist gerade erst von Houston hierhergezogen.“
Sie blätterte die Dokumente durch. „Worin besteht der Notfall?“
„Seine Mutter musste … vorübergehend weg.“
„Wieso ist das ein Notfall?“
„Geht Sie das was an?“ Bo stellte die Frage lächelnd, aber der Punkt kam trotzdem an.
Sie schnaubte. „Meldebescheinigung?“
„Hier.“ Er zeigte auf den Mietvertrag, den er gerade mit Mrs van Dorn unterschrieben hatte.
„Sozialversicherungskarte?“
Bo wandte sich an AJ. „Hast du so etwas?“
AJ schüttelte den Kopf.
„Können wir meine nehmen?“ Er zog sie aus seinem Portemonnaie.
Mrs Jensen sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „Er hat dreißig Tage, sich eine zu besorgen. Das ist das Gesetz in diesem Staat.“
Jetzt verstand er es – ihr Verhalten, das Misstrauen. Diese Frau hatte sich schon eine Meinung über AJ gebildet, obwohl sie nicht mehr von ihm wusste als seinen Namen. „In diesem Land ist es auch Gesetz, dass ein Kind zur Schule geht“, erwiderte er.
„Spricht er Englisch?“, fragte sie. „Denn die Klassen für Englisch als Zweitsprache sind in einem anderen Gebäude untergebracht …“
„Lassen Sie mich nachfragen“, sagte er. „Yo, AJ, ¿hablas inglés? “
„Keine Ahnung. Ist das die Sprache, die man in diesem Land spricht?“, fragte AJ leise, aber sehr deutlich.
Mrs Jensen richtete ihren missbilligenden Blick auf ihn und dann wieder auf die Papiere, die sie mitgebracht hatten. „Die ist nicht beglaubigt“, sagte sie und reichte die Geburtsurkunde zurück, als rieche sie schlecht.
„Es ist eine Urkunde“, sagte Bo. „Heißt das nicht, dass sie auch beglaubigt ist?“
„Ich brauche eine beglaubigte Urkunde. Nicht eine Krankenhausurkunde. Nicht irgendeine Kopie. Eine beglaubigte Urkunde. Bis ich die nicht habe und die Akten seiner vorherigen Schule, kann ich ihn nicht einschreiben. Und ich kann die Akten nicht anfordern, bevor Sie nicht dieses Formular ausgefüllt haben.“ Sie zeigte auf das Klemmbrett.
„Ich beeile mich, Ma’am.“ Bo biss sich auf die Zunge und füllte die Zettel aus. Er wusste, wenn er sich nicht zusammenriss, bekämen sie ernsthafte Schwierigkeiten, doch er konnte nicht anders. Als er ihr das Klemmbrett zurückgab, sagte er: „Ich weiß, Sie haben es sicher eilig, zu Ihrem Arzttermin zu kommen.“
Die Frau blickte ihn finster an. „Ich habe keinen Arzttermin.“
„Wirklich? Dann sollten Sie sich aber schnell einen besorgen, Ma’am.“
„Wie bitte?“
„Nun ja, wegen des Stocks.“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Ihnen nicht folgen kann.“
„Natürlich können Sie das. Der Stock. Sie wissen schon, der Ihnen im Hintern steckt. Sie werden viel glücklicher sein, wenn der erst einmal raus ist. Komm AJ, gehen wir.“
Der Gang war inzwischen wieder menschenleer. „Das hättest du nicht sagen sollen“, flüsterte AJ.
„Das war es aber wert.“ Bo verspürte den ersten Hauch einer Verbindung mit seinem Sohn. „Hast du ihr Gesicht gesehen?“
Am Ende des Flurs war ein Hausmeister dabei, den Schneematsch mit einem Mopp aufzuwischen. Bo entging nicht, dass er der einzige Lateinamerikaner war, den er bislang in der Schule gesehen hatte. Mit einem Seitenblick auf AJ wurde ihm klar, dass es dem Jungen ebenfalls aufgefallen war.
Er schwieg und blätterte in der Broschüre für neue Schüler. „Sieht so aus, als müssten wir dir noch ein paar Sachen besorgen“, sagte er und fügte das
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