Oma klopft im Kreml an
um das öde und kalte Schweigen und den Mangel an kapitalistischem Getriebe wiedergutzumachen, dröhnte ein Lautsprecher vom Hauptgebäude die Produktionszahlen der ukrainischen Industrie über den Flugplatz. Die körperlose Stimme schwebte durch die stille Luft über die verlassenen Rollbahnen und begrüßte die Neuankömmlinge in der Sowjetunion.
In der plötzlichen Kälte nach dem geheizten Flugzeug drängten sich alle dicht zusammen und bewegten sich dann in einer Gruppe auf die Stimme zu. Als sie den Flugplatz zur Hälfte überquert hatten, kam ihnen feierlich ein Dolmetscher entgegen und führte sie in das riesige und prunkvolle Hauptgebäude, dessen Mosaikdecke von vielen Marmorsäulen getragen wurde.
«Wie geschmacklos», bemerkte Miss Baker. Sie blieb wie angewurzelt im Portal stehen und unterzog die roten, mit Goldbrokatfransen garnierten Plüschvorhänge vor den riesigen Fenstern, den Hammer-und Sichel-geschmückten Wandfries und die zahlreichen Statuen zwischen den Marmorsäulen einer genauen Musterung. «Und so altmodisch für ein so neues Gebäude. Ich dachte, die Sowjetunion sei ein äußerst modernes Land, viel zu kahl und stromlinienförmig für meinen Geschmack. Aber das hier - das ist eindeutig viktorianisch.»
Mrs. Hoskins, die ihren Anfall von Luftkrankheit noch nicht ganz überstanden hatte, schnalzte bei dieser offenherzigen Bemerkung nur kraftlos mit der Zunge, und Horace Cleghorn übernahm es, Miss Baker einen Verweis zu erteilen.
«Wilna gehört als Hauptstadt von Litauen erst seit kurzem der UdSSR an», sagte er. «Vor dem Krieg war Litauen natürlich typisch bourgeois und zurückgeblieben, und zweifellos sind einige der altmodischen Traditionen noch immer am Leben, trotz des beherzigenswerten Beispiels, das ihm von seinen fortschrittlichen sowjetischen Nachbarn gegeben wird.»
«Mein lieber junger Mann, vor dem Krieg war Litauen ein sehr fortschrittliches, modernes kleines Land», sagte Miss Baker entschieden. «Ich bin neunzehnhundertsechsundzwanzig hier gewesen, und es sah absolut nicht so aus wie jetzt.»
Sie deutete mit ihrem Schirm auf eine große Leninstatue aus Granit, deren einer Arm kämpferisch ausgestreckt war, und folgte dem Dolmetscher hoch erhobenen Hauptes in den Speisesaal.
Die Mitglieder der Delegation sahen Mrs. Cartwright fragend an, aber es stellte sich heraus, daß sie genausowenig über Miss Bakers einsame Reise nach Moskau wußte wie die andern.
«Sie muß doch irgend etwas dort wollen», sagte Sir William Finch gereizt. Er war ein großer, gut aussehender Mann, der noch eindrucksvoller gewesen wäre, hätte nicht eine gewisse Leere des Gesichtsausdruckes auf Dummheit schließen lassen. Er fühlte sich als Anführer der Delegation innerlich unsicher und neigte deshalb dazu, in einer Art reizbarer Würde Zuflucht zu suchen. Er hatte England noch nie verlassen und fühlte sich deshalb durch Horace Cleghorns überlegenes Wissen benachteiligt. Folglich fühlte er Sympathie für Miss Baker, die diesem unbequemen jungen Mann widersprochen hatte. Andererseits hatte er das Gefühl, er müsse diesen völligen Außenseiter, der sich da seiner Delegation angeschlossen hatte, in irgendein Schubfach einordnen.
«Ich nehme an, sie will ihren Urlaub in Moskau verbringen, Sir William», sagte Mrs. Cartwright. «Sie ist eine sehr energische alte Dame, die das Reisen liebt und über alles, was sie sieht, sehr bestimmte Meinungen hat.»
«Aber eines kann ich nicht verstehen», wandte Emlyn Richards mit seiner weichen walisischen Stimme ein. «Warum kritisiert sie dieses schöne Gebäude? Es ist großartig. Viel Platz, schöne Vorhänge. Das hat viel Geld gekostet.»
Mr. Richards war der Gewerkschaftsvertreter für eine Gruppe von walisischen Bergwerken, und seine Bewunderung war so ernsthaft und aufrichtig, daß ihm niemand widersprechen mochte.
Die Gesellschaft ging langsam in den Speisesaal und fand dort Miss Baker bereits an einer mit Glas, Silber und prunkvollen Gedecken überladenen langen Tafel sitzend vor.
Während die Delegation offensichtlich meinte, Miss Baker ohne Kurzbiographie und formelle Einführung nicht akzeptieren zu können, schien diese selbst solche Hemmungen nicht zu kennen.
«Die litauische Küche gehört zu den besten in der Welt», informierte sie ihre Reisegenossen, nachdem man sich niedergelassen hatte. «Wunderbare Vorspeisen, köstliches Gebäck. Ich glaube, wir sind alle sehr hungrig. Wir wollen uns doch mal die Speisekarte ansehen.»
Aber
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