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orwell,_george_-_1984

Titel: orwell,_george_-_1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
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Selbstmord begehen.« »Unsinn. Sie stehen unter dem Eindruck, Haß sei aufreibender als Liebe. Warum sollte dem so sein? Und
    wenn, was würde es ausmachen? Angenommen, wir hätten beschlossen, uns rascher zu verbrauchen. Angenommen, wir beschleunigen das Tempo des Menschenlebens, bis die Menschen mit dreißig Jahren altersschwach sind. Was würde selbst dadurch geändert? Können Sie nicht begreifen, daß der Tod des einzelnen nicht den Tod der Partei bedeutet? Die Partei ist unsterblich.«
    Wie gewöhnlich, hatte die Stimme Winston zu völliger Hilflosigkeit niedergeschmettert. Außerdem fürchtete er, O'Brien würde, wenn er auf seinem Widerspruch beharrte, wieder den Hebel drehen. Und doch konnte er nicht schweigen. Schwach wie er war, ohne Beweisgründe, mit nichts zu seiner Unterstützung außer seinem unaussprechlichen Grauen vor dem, was O'Brien gesagt hatte, griff er erneut an.
    »Ich weiß nicht – kann es nicht sagen. Irgendwie wird es euch fehlschlagen. Etwas macht euch einen Strich durch die Rechnung. Das Leben macht euch einen Strich durch die Rechnung.«
    »Wir kontrollieren das Leben, Winston, in allen seinen Äußerungen. Sie bilden sich ein, es gebe so etwas wie die sogenannte menschliche Natur, die durch unser Tun beleidigt sein und sich gegen uns auflehnen werde. Aber wir machen die menschliche Natur. Die Menschen sind unendlich gefügig. Oder vielleicht sind Sie wieder auf Ihre alte Idee zurückgekommen, daß die Proletarier oder die Sklaven aufstehen und uns stürzen werden. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Sie sind hilflos wie die Tiere. Die Menschheit ist die Partei. Die anderen stehen außerhalb und sind belanglos.«
    »Meinetwegen. Am Schluß werden sie euch abtun. Früher oder später werden sie euch als das erkennen, was ihr seid, und dann werden sie euch in Stücke reißen.«
    »Sehen Sie irgendein Anzeichen dafür, daß das geschieht? Oder einen Grund, warum es geschehen sollte?«
    »Nein. Ich glaube einfach daran. Ich weiß , daß es euch fehlschlagen wird. Es gibt etwas in der Welt – ich weiß nicht, einen Geist, ein Prinzip –, das ihr nie überwinden werdet.«
    »Glauben Sie an Gott, Winston?«
    »Nein.«
    »Was ist dann dieses Prinzip, das uns zuschanden machen wird?«
    »Ich weiß es nicht. Der menschliche Geist.«
    »Und halten Sie sich für einen Menschen?«
    »Ja.«
    »Wenn Sie ein Mensch sind, Winston, dann sind Sie der letzte Mensch. Ihre Gattung ist ausgestorben; wir sind die Erben. Begreifen Sie, daß Sie allein dastehen? Sie stehen außerhalb der Geschichte, Sie sind nicht-existent.« Seine Art änderte sich, und er sagte barscher: »Und Sie halten sich uns moralisch für überlegen, mit unseren Lügen und unserer Grausamkeit?«
    »Ja, ich halte mich für überlegen.«
    O'Brien sagte nichts. Zwei andere Stimmen sprachen. Nach einem Augenblick erkannte Winston eine davon als seine eigene. Es war eine Wachsplattenaufnahme des Gesprächs, das er mit O'Brien am Abend seiner Aufnahme in die Brüderschaft geführt hatte. Er hörte sich geloben zu lügen, zu stehlen, zu fälschen,
    zu morden, die Rauschgiftsucht und die Prostitution zu ermutigen, Geschlechtskrankheiten zu verbreiten, einem Kind Vitriol ins Gesicht zu schütten. O'Brien machte eine kleine ungeduldige Geste, so als wollte er sagen, die Vorführung lohne kaum die Mühe. Dann drehte er einen Knopf, und die Stimmen verstummten.
    »Stehen Sie auf von diesem Lager«, sagte er.
    Die Fesseln hatten sich gelöst. Winston ließ sich auf den Fußboden heruntergleiten und richtete sich unsicher auf.
    »Sie sind der letzte Mensch«, sagte O'Brien. »Sie sind der Hüter des menschlichen Geistes. Sie sollen sich sehen, wie Sie sind. Ziehen Sie Ihre Kleider aus.«
    Winston knüpfte das Stück Schnur auf, das seinen Trainingsanzug zusammenhielt. Der Reißverschluß war schon seit langem herausgerissen. Er konnte sich nicht erinnern, ob er seit seiner Festnahme jemals seine ganzen Kleider gleichzeitig abgelegt hatte. Unter dem Trainingsanzug war sein Körper in schmutzig gelbliche Fetzen gehüllt, die man gerade noch als Überreste von Unterwäsche erkennen konnte. Als er sie auf den Boden abstreifte, sah er, daß am anderen Ende des Raumes ein dreiteiliger Spiegel stand. Er trat näher heran und blieb mit einem Ruck stehen. Unwillkürlich war ihm ein Schrei entfahren.
    »Gehen Sie weiter«, sagte O'Brien. »Stellen Sie sich zwischen die beiden Seitenteile des Spiegels. Sie sollen sich auch von der Seite sehen.«
    Er war

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