Pablito
jungen Frau.
Pablo wagte kaum zu atmen. Das mußte die Lehrerin sein, die über das Meer
gefahren war, um zu den Kindern von Tupica zu kommen! Großmutter Yacumas Haar
war schwarz gewesen. Pablos Haare waren schwarz. Diese Frau aber hatte Haare,
hell wie der junge Mais im Licht der Sonne. Pablo stand auf, die Augen unbewegt
auf die Fremde gerichtet. Er trat ganz nahe an sie heran. Christina machte
einen Schritt zurück und wollte schon sagen: Geh heim, was hast du hier mitten
in der Nacht zu suchen!
Pablo aber sagte: »Ich bin
Pablo. Großmutter Yacuma ist tot. Tante Jacinta und Onkel Juan sind nicht mehr
hier. Ich möchte bei dir bleiben.«
Keinen Augenblick dachte Pablo daran,
daß die Lehrerin ihn fortschicken würde wie jene Frau in Tante Jacintas Haus.
War sie nicht über das Meer gefahren zu den Kindern von Tupica? Er, Pablo, war
nun ein Kind von Tupica, auch wenn er aus dem Urwald kam.
Pablo wischte sich die Tränen
fort und sagte eifrig: »Das ist Quito, mein Hund. Und das ist Uyuni, Großmutter
Yacumas Ziege.«
Christina ließ langsam die
Lampe sinken. Sie blickte auf den Indianer jungen, der bei ihr bleiben wollte.
Sie lächelte schwach. »Ich kann«, hatte sie in ihrem Brief an den Bischof
geschrieben, »das Zutrauen keines dieser Kinder gewinnen.« Pablo aber faßte
ihre Hand. Christina schloß die Finger um diese kleine schmutzige Hand und
sagte: »Komm!«
Sie rief Quito und Uyuni, doch
die Ziege blieb eigensinnig auf der Straße stehen.
»Du darfst nicht böse auf sie
sein«, bat Pablo. »Uyuni folgt nur mir. Weißt du, sie muß dich erst
liebgewinnen.«
Uyuni ließ sich von Pablo
gehorsam ins Haus führen. Mein sauberes Zimmer, dachte Christina. Nun habe ich
einen schmutzigen Jungen hereingebracht, einen noch schmutzigeren Hund und
sogar eine Ziege! Aber sie sagte nichts dergleichen. Pablo durfte sich an den
Tisch setzen, und Quito und Uyuni durften sich auf dem frisch gescheuerten
Boden aus roten Ziegelsteinen niederlegen.
Christina brachte Kuchen,
Fleisch und Bohnen für Pablo. Quito fraß ein Stück Maisbrot und Uyuni
Maiskörner. Die Öllampe warf ihr warmes Licht auf Pablos Gesicht und auf seinen
schwarzen dichten Haarschopf. Die Lider wurden ihm schwer, und er konnte die
Augen nur mehr mit Mühe offenhalten. Schon halb im Schlaf murmelte er:
»Großmutter Yacuma wird froh
sein, daß wir bei dir sind!«
Sein Kopf fiel auf die
Tischplatte. Christina hob den schlafenden Pablo auf, trug ihn in das
Nebenzimmer und legte ihn auf ihr eigenes Bett. Sie zog ihm die staubigen
Kleider aus und deckte ihn mit einem weichen Tuch zu. Quito wollte unbedingt
unter dem Bett schlafen, und Uyuni ließ sich nicht bewegen, vom Tisch
fortzugehen.
In dieser Nacht blieb Christina
nicht viel Zeit zum Ausruhen. Sie wusch Pablos Hemd, flickte die größten Löcher
und hängte die Kleider zum Fenster hinaus, damit sie am Morgen trocken wären.
Sie trat an den Tisch und nahm ihren Brief, hielt ihn in der Hand, sah ihn an
und legte ihn in eine Schublade. Sie mußte nun für Pablo sorgen, bis er seine
Verwandten gefunden hatte. Dann erst konnte sie nach Europa zurückfahren.
Christina holte eine Decke,
ging in das Schulzimmer und schlief auf einer der harten Bänke.
Pablo in der Schule
Nicht
weit vom Schulhaus entfernt stand ein alter Nußbaum. In seinen Zweigen
schliefen grauweiße Vögel, so groß wie Tauben. Um sechs Uhr früh, als die Sonne
schon aufgegangen war, erwachten sie, schlugen mit den Flügeln und begannen zu
singen.
Aymara, eine alte Indianerin, die
neben der Schule in einer kleinen Hütte wohnte, wartete wie jeden Morgen auf
ihren Gesang. Er klingt wie »Maria, ya es de diá«, das heißt »Maria, es ist
schon Tag«. Aymara trat vor die Tür und blickte voll Zufriedenheit auf das Dorf
Tupica. Sie freute sich. Die Vögel sangen, die Sonne schien auf den weißen Turm
der Kirche, und die bronzene Glocke unter dem grauen Ziegeldach schwang im
Morgenwind leicht hin und her und tönte ganz sanft.
Aber was war das? Hemd und Hose
für einen kleinen Jungen hingen vor dem Schulhaus? Aymara wollte ihren Augen nicht
trauen. Nun beugte sich die Lehrerin aus dem Fenster und nahm die Kleider fort.
Eine Ziege meckerte, ein Hund bellte, und Aymara hörte das Lachen eines Kindes.
Aymara blieb vor ihrer Hütte stehen und lauschte. Sie war sehr neugierig. Immer
wollte sie alles wissen, was im Dorf geschah. Ohne Zweifel ging im Schulhaus
etwas Ungewöhnliches vor. Was konnte sie nur tun, es zu erfahren, ohne
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