Das Regenwaldkomplott
Sie fanden ihn am rechten Fahrbahnrand der Straße, die von Boa Vista nach Parima führt, neun Kilometer von der Missionsstation Santo Antônio entfernt.
Der Polizei-Sergento Alberto Moaco sah ihn zuerst. Er stieß seinen Ellbogen in die Seite von Sergento Filipe Perinha, der hinter dem Lenkrad saß.
»Das ist doch der Wagen von Senhor Ramos«, sagte er und kurbelte das Fenster herunter. »So einen Ranch Rover fährt nur er. Braun, metallic und innen Ledersitze vom Feinsten. Halt mal hinter ihm, Filipe.«
»Warum?« Perinha schaltete in den zweiten Gang herunter und fuhr langsam auf den Wagen zu.
Camilo Ramos war eine bekannte, aber auch gefürchtete Persönlichkeit, einer der Großgrundbesitzer in Amazonien, von denen behauptet wird, sie wüßten gar nicht, wieviel Geld sie auf ihren verschiedenen Bankkonten liegen haben; nicht allein hier in Brasilien, sondern vor allem in der Schweiz und in Österreich. Ramos besaß Gold- und Erzgruben, eine Papierfabrik, eine riesige Köhlerei, die aus dem Holz des Urwalds Holzkohle machte, das wiederum die Hochöfen zur Verhüttung des Eisenerzes heizte. Irgendwo im Süden, im Mato Grosso, soll er riesige Ländereien, vor allem Weiden, besitzen, über die endlose Rinderherden zogen. Nun war Camilo Ramos dabei, den Regenwald des Amazonien-Staates Roraima, der nördlichsten Provinz Brasiliens, zu roden, um auch hier riesige Weideflächen anzulegen und Tausenden von Kleinsiedlern aus dem überfüllten Süden und Westen des Landes eine neue Heimat und damit eine Chance zum Überleben zu geben.
Camilo Ramos war die verkörperte Zukunft; er kannte jeden Minister der Regierung in Brasilia, wurde vom Staatspräsidenten zum privaten Essen eingeladen, und im ›Rat Neues Brasilien‹, einer Vereinigung von Großgrundbesitzern, Fabrikanten und Bankiers, galt sein Wort als richtungweisend. Einmal im Monat kam dieser Rat zusammen, entweder in Brasilia oder in Manaus, dieser Urwald-Großstadt an der Mündung des Rio Negro in den Rio Solimões, der dann als Amazonas seine gewaltigen Wassermassen zum Atlantischen Ozean schickt: Das größte Stromgebiet der Erde mit Hunderten von Nebenflüssen, ein Wasserreichtum ohne Beispiel, und ringsherum Millionen Quadratkilometer Regenwald und Dschungel – die Lunge unserer Erde.
Eine sterbende Lunge – von den einst 14 Millionen Quadratkilometern Regenwald im Tropengürtel unserer Erde sind bis heute nur noch fünf Millionen übriggeblieben. Über die Hälfte ist also bereits vernichtet – und die Vernichtung geht weiter. Allein 1988 wurden weltweit 598.000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt, verbrannt und zur toten Erde gemacht.
Sergento Perinha hielt ein paar Meter vor Ramos' Range Rover und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hier auf der Straße, einer in den Wald geschlagenen Schneise von sieben Metern Breite, war es heiß. Die Sonne brannte unbehindert herab, während es unter dem vierzig Meter hohen Blätterdach des Regenwaldes zwar schwül, aber doch erträglich kühler war.
»Warum parkt Senhor Ramos gerade hier?« fragte Sergento Moaco. Er stieg noch nicht aus, musterte erst den Wagen mit nachdenklichen Blicken.
»Vielleicht mußte er mal?« Perinha lachte kurz auf. »Alberto, dabei wird man nicht gern gestört. Weißt du, was Senhor Ramos sagen wird, wenn wir jetzt aussteigen? ›Ich brauche keinen Polizeischutz, wenn ich mich mal an einen Baum stelle!‹ Laß uns weiterfahren.«
»Der Wagen steht schon länger hier.« Moaco zeigte mit dem Finger auf den Ranch Rover.
Es war sieben Uhr morgens, der Wald begann zu dampfen, die Sonne sog die Feuchtigkeit der Nacht aus ihm heraus. Der Metallic-Lack von Ramos' Wagen glänzte vor Nässe. Selbst wenn er erst vor kurzem von der Missionsstation Santo Antônio aufgebrochen wäre, hätte der Rover längst trocken und mit rötlichem Staub überzogen sein müssen.
Camilo Ramos wohnte immer auf der Mission, wenn er die Goldgräberstadt Novo Lapuna besuchte, und das war monatlich mindestens einmal. Ihm gehörten auch an die hundert Claims, auf denen tausende Goldgräber für ihn arbeiteten; Garimpeiros, wie man sie nannte.
»Er ist noch ganz feucht. Er muß die Nacht über hier gestanden haben.«
»Das ist doch unmöglich!« Perinha sah Moaco betroffen an. »Jeder hält doch an, wenn er in der Nacht am Straßenrand einen Wagen ohne Licht stehen sieht.«
»Nicht bei Ramos' Ranch Rover. Den kennt jeder. Außerdem, wer fährt hier schon nachts herum? Da ist jeder froh, die Miststraße
Weitere Kostenlose Bücher