Paloma - Ein Liebesroman (German Edition)
als Beamter nicht darüber reden durfte, er war ja nicht blind. Er sah doch, was los war in letzter Zeit hier bei ihnen. Fast jeden Tag kamen neuerdings Briefe aus dem Ausland – man glaubte es nicht, an wen alles. Er, für seine Person, konnte nur froh sein, dass wenigstens keiner aus seiner Familie davon betroffen war.
So leichtfüßig Paloma den Weg nach San Lorenzo hinunter zurückgelegt hatte, so schwer waren ihr die Füße auf dem Heimweg. Sie hätte weiß Gott was gegeben, wenn sie dafür erfahren hätte, weshalb keine Briefe von Philipp mehr kamen. Was war los mit ihm? War er krank? Zu krank, um ihr zu schreiben? Oder war er böse auf sie, weil sie vielleicht etwas Falsches geschrieben hatte? Sie bedauerte es jetzt, dass sie nicht länger zur Schule gegangen war und nicht gelernt hatte, all das zu schreiben, was sie Philipp gerne gesagt hätte.
Als sie sah, dass die Sonne bereits ziemlich hoch stand, ging sie schneller. Sicher wartete Mariano schon auf sein Frühstück. Aber als sie den Hof erreichte, stellte sich heraus, dass sie sich umsonst beeilt hatte. Mariano schlief noch. Es war wohl wieder spät in der Nacht bei ihm geworden.
Einige Tage später – noch immer war kein Brief von Philipp gekommen – Paloma brachte gerade die Ziegen und Schafe zurück auf den Hof – sah sie ein Auto vor dem Haus stehen. Ihr schlug das Herz bis zum Hals hinauf und sie trieb, ungeduldig schnalzend, die Tiere an und sprang über die Mauer, um den Weg abzukürzen. Sie hoffte, sie wünschte sich, ja sie betete darum, dass es Philipps Auto war. Dass er ganz überraschend gekommen war. Dass das die Erklärung war, weshalb er nicht mehr geschrieben hatte.
Als sie jedoch an dem Auto vorbei ins Haus stürmte, ein fabrikneues Modell mit glänzendem Chrom und Lack, fand sie jedoch nur Mariano vor und den Vater. Er saß auf seinem Stuhl in der Ecke und hatte den Kopf in den Händen vergraben, während Mariano auf- und abging und auf ihn einredete. Sobald er jedoch Paloma sah, brach er ab und fuhr sie an: „Was willst du?“
Paloma verstand seine Frage nicht. Kein Mensch hatte sie je gefragt, was sie im Haus ihres Vaters wollte. Auch Salvador blickte nun auf. Er deutete auf Paloma und rief so heftig, wie sie ihn noch nie erlebt hatte: „Und was ist mit deiner Schwester? Ist dir nicht klar, dass es ebenso ihr Geld ist wie deins?“
Aber Mariano winkte ab. „Ach was, mach dir um die keine Sorgen. Wer weiß, was der Deutsche ihr alles zugesteckt hat. Glaubst du im Ernst, das teilt die mit uns?“ Er lachte. Laut und höhnisch, griff dann in seine Tasche und holte ein Stück Papier hervor. Einen Brief, einen Brief aus Deutschland. Paloma sah nur die Marke und wusste Bescheid.
„Wenn das ein Brief für mich ist, gib ihn sofort her!“, fuhr sie Mariano an.
„Hol ihn dir doch.“ Mariano foppte sie. Erst wedelte er ihr mit dem Brief unter der Nase herum, dann hielt er ihn mit ausgestrecktem Arm so hoch, dass Paloma ihn nicht erreichen konnte. Sie zerrte an seiner Jacke und als das nichts half, griff sie in seine Haare und riss ihm den Kopf zurück und fuhr ihm mit den Nägeln ins Gesicht. Mariano stöhnte, aber bevor Paloma noch nach dem Brief greifen konnte, hatte er ihn bereits in der Mitte durchgerissen und dann noch einmal, ehe er die Fetzen auf den Boden flattern ließ. Mit Tränen überströmtem Gesicht sammelte Paloma sie zusammen und lief dann in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Am nächsten Morgen ging Salvador mit ihr zur Poststelle und informierte den Postbeamten darüber, dass in Zukunft alle Briefe, die für Paloma eintrafen, nur noch ihm oder Paloma direkt ausgehändigt werden durften. Wie hoch der Preis dafür war, erfuhr Paloma erst später. Mariano hatte das ganze Geld, das Philipp für das Land in der Cala Dragonera bezahlt hatte, bis zur letzten Peseta aus dem Vater herausgequetscht. Er hatte das neue Auto damit finanziert und der Rest sollte für die Tankstelle sein, mit der er sich selbständig machen wollte.
„Sag jetzt nichts, Paloma. Ich weiß selbst, dass ich ein Esel war. Das ganze schöne Geld“, sagte Salvador. „Aber er hat mir tagelang den Kopf so voll geredet, bis ich schon nicht mehr wusste, wo oben und unten war.“
„Schon gut“, sagte Paloma. „Es lässt sich ja sowieso nicht mehr ändern.“
„Ja, aber es war dein Geld genauso wie seins, ich wollte, dass jeder von euch die Hälfte bekommt“, sagte der Vater.
„Lass, ich kenne Mariano. Pass aber auf, dass er
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