Paloma
an einem anderen Tag wiederzukommen. Anscheinend hatte er keinen guten Tag gewählt für sein Wiedersehen mit Paloma. Aber bevor er noch bei seinem Auto war, hielt der Seat direkt neben ihm und seine Schritte stockten, fast erschrocken, als er Paloma auf der Fahrerseite aussteigen sah. Dann stand sie da, die Hände noch an der Autotür und blickte zu ihm herüber. Philipp starrte sie einen Moment lang ungläubig an und ging dann mit schnellen Schritten auf sie zu. Eine Sekunde später lag Paloma in seinen Armen.
„Paloma! Mein Gott!“
„Philipp!“
Er drückte sie an sich und hielt sie ganz fest. Sie war so klein. Mein Gott, wie hatte er nur vergessen können, wie klein sie war, dabei war sie ihm immer nur bis zu den Schultern gegangen. Sie klammerten sich aneinander, als ob sie Angst hätten, voneinander zu lassen und sich in die Augen zu sehen. Aber nach einer langen Weile taten sie es doch und Philipp fand das schöne gleichmäßige Oval ihres Gesichts wieder und die ruhigen, klaren Augen, in denen jetzt Schrecken und Freude zugleich lagen. Ohne sich zu rühren und auch ohne ein Wort, hielten sie einander mit den Augen fest. Bis ein Geräusch Paloma zur Seite blicken ließ und als Philipp ihrem Blick folgte, sah er überrascht ein kleines Mädchen aus dem Auto klettern.
„Das ist Philipp“, sagte Paloma zu dem Kind. „Sag ihm guten Tag.“
Das kleine Mädchen sagte jedoch kein Wort, blickte ihn nur an und es war derselbe ruhige Blick wie der von Paloma. Nur waren die Augen des Kindes von sehr hellem Blau und seine Haare hatten auch nicht denselben Mahagoni-Ton wie die von Paloma. Im Sonnenlicht schimmerten sie fast silbern.
„Das ist Blanca, meine Tochter“, sagte Paloma.
„Deine Tochter?“
„Ja. Erkennst du das nicht?“
Palomas Tochter!? Mit fassungslosem Blick auf das Kind wurde Philipp plötzlich klar, dass es nicht nur Palomas sondern auch seine Tochter war. Er war auf alles, auf wirklich alles gefasst gewesen, aber darauf nicht.
„Das gibt es doch nicht“, stammelte er hilflos und seine Blicke wanderten zwischen Paloma und dem Kind hin und her.
Das schwarzhaarige Mädchen tauchte jetzt auf der Veranda auf.
„Komm zu mir, Blanca“, rief sie.
Aber Paloma wandte sich ihr zu. „Carmen, du ... du kannst jetzt gehen. Ich brauche dich heute nicht mehr.“
„Und das Essen?“
„Das mach ich dann schon.“
Während Carmen schulterzuckend im Haus verschwand, sagte Paloma: „Sie hilft mir im Haus. Und hütet Blanca, wenn ich nicht da bin.“
Carmen, ein Lederbeutel hing jetzt über ihrer Schulter, kam erneut aus dem Haus und stieg dann auf die alte Mobylette, die an der Hauswand lehnte.
„Bis morgen, Carmen“, rief Paloma ihr zu. Dann gingen sie ins Haus. Das Kind, das mit großen Augen zu Philipp aufschaute, zwischen sich. Paloma hieß das Kind, sich an den Tisch zu setzen und brachte ihm sein Essen und danach schenkte sie für Philipp ein Glas Wein ein. Während sie all das tat, verständigten sie und Philipp sich mit den Augen, sprachen durch ihre Blicke miteinander und redeten gleichzeitig über lauter belanglose Dinge. Darüber, dass es sehr heiß im Moment sei und wann Philipp angekommen und ob sein Haus in Ordnung sei, da sie in Gegenwart des Kindes nicht über all das reden konnten, was beiden auf der Seele brannte. Philipp war deshalb erleichtert, als er Paloma zu dem Kind sagen hörte: „Wenn du aufgegessen hast, machst du deinen Mittagsschlaf.“
„Du auch?“, fragte Blanca. Es war das erste Mal, dass Philipp seine Tochter reden hörte. Eine kleine, zarte Stimme, die ihn rührte. Sie musste etwa in Vickys Alter sein. Nein, jünger. Sie war auch kleiner und zarter. Philipp fiel wieder ein, dass Bobby während seines letzten Aufenthalts auf Magali kurz vor der Entbindung gestanden hatte. Und auch sonst beschränkte sich Blancas Ähnlichkeit mit Vicky auf die Augen- und Haarfarbe. Je länger Philipp sie ansah, umso deutlicher wurde die Ähnlichkeit mit Paloma.
Er versuchte, sich zurück zu nehmen und Blanca nicht zu offen anzustarren und sagte zu ihr: “Weißt du, Blanca, ich habe eine Nichte, die ist etwa so alt wie du und auch so hübsch wie du.“
Blanca hörte auf zu essen und sah ihn an.
„Ich glaube, du bist ein bisschen müde, was?“, sagte Paloma zu ihr. „Am besten, du legst dich jetzt erst mal hin.“
Schweigend legte Blanca den Löffel hin und stand auf und ging zur Tür. „Wenn ich aufwache, ist dann der Mann noch da?“
„Ich weiß nicht“,
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