Paraforce 1 - Aller Anfang ist schwer
orangefarbener Flüssigkeit. Vitamine, die meine Abwehrkräfte stählen sollen. Zudem enthält der Drink Koffein; es soll die Müdigkeit, eine der Nebenwirkungen der HIV-Medikamente, dämpfen.
Zumindest schmeckt das Zeug.
Der nackte Tod . So soll das erste Kapitel, der Prolog, übertitelt sein. Immerhin steht dies bereits fest.
Langsam fallen mir auch die ersten Sätze ein. Die Toten hängen nackt an den Bäumen wie Girlanden an Weihnachten. Drei Männer und zwei Frauen, keiner von ihnen älter als dreißig Jahre.
Okay, ich habe keine Ahnung, ob das gut ist. Aber es ist authentisch, also lasse ich es so stehen. Das Sterben der Gehenkten dauerte mehrere …
Ich schaue auf. Nicht der Text irritiert mich, sondern ein sonderbares Geräusch. Eines, das ich nicht erwartet habe.
Jemand öffnet die große Haustür, und zwar mit einem Schlüssel.
Alarmiert greife ich nach meiner Pistole, die in der obersten Schublade des Schreibtisches liegt, gleite vom Stuhl und husche durch den Raum.
Schritte erklingen aus der Halle.
So leise wie möglich laufe ich über den dicken Teppich, der im Flur des ersten Stocks ausgelegt ist, und gehe neben der Treppe in Stellung.
Eine junge Frau, in der Hand eine Notebook-Tasche, auf dem Rücken ein Rucksack, geht in meine Richtung.
Eine Gefahr geht von ihr nicht aus, darum lasse ich die Pistole sinken. »Kann ich Ihnen helfen?«
Erschrocken bleibt die Fremde stehen. Sie mustert mich ängstlich, ihr Blick klebt an meiner Waffe. »Bitte«, presst sie nach ein paar Sekunden hervor, »ich will keinen Ärger. Nehmen Sie sich, was Sie wollen, und dann verschwinden Sie.«
Ich neige den Kopf zur Seite. »Wer zur Hölle sind Sie und was machen Sie in meinem Haus?«
Nun blinzelt sie fragend. »In Ihrem Haus? Ich weiß ja nicht, wer Sie sind, aber das hier ist das Haus von Professor Stewart.«
»Das war das Haus von Professor Stewart, denn dieser ist tot«, erkläre ich lakonisch. »Und das seit einiger Zeit.«
»Das weiß ich«, giftet sie, »denn ich war seine Assistentin. Aber das erklärt nicht, was Sie hier zu suchen haben und warum Sie behaupten, es sei Ihr Haus!«
Seufzend wende ich mich um. »Noch niemals etwas von Erbschaft gehört?«
»Erbsch…« Endlich begreift sie. »Laura Stewart, die Tochter des Professors? Es hieß, Sie seien in Kolumbien verschollen.«
»Jetzt bin ich wieder da. Mein Leben ist ein bisschen kompliziert, darum habe ich das mir so verhasste Erbe doch angetreten. Es ist daher mein Haus, mein Wagen in der Garage und mein Motorrad. So zumindest steht es im Testament des Professors.«
»Natürlich.« Die ehemalige Assistentin meines Vaters lässt die Schultern hängen. »Ich wohnte hier, auch nach seinem Tod. Nun bin ich obdachlos.«
»Wo waren Sie denn die letzten Wochen über?«, wundere ich mich. Okay, ich hatte in einem Zimmer Frauenkleider gefunden, dazu Bücher und all die anderen Dinge, die auf einen weiteren Bewohner hindeuteten. Ich nahm an, dass sich mein Vater eine Angestellte gehalten hatte, vielleicht auch eine Geliebte – etwas in der Art.
Das Zimmer war unberührt geblieben, da ich es nicht benötigte und hoffte, jemand würde den Plunder abholen.
»Ausgrabungen in Ägypten. Ziemlich spannend, denn wir fanden Artefakte, die …« Sie winkt ab, als ihr klar wird, dass mich das nicht sonderlich interessiert. »Dann sollte ich wohl mal meine Sachen packen.«
»Und wo gehen Sie hin? Freunde? Eltern?«
»Ich ziehe in eine Pension und suche mir eine Wohnung. Machen Sie sich keine Sorgen, ich komme unter.«
Ich zucke mit den Schultern. »Es ist ein großes Haus, Sie haben Ihr eigenes Bad … Meinetwegen können Sie auch bleiben.«
»Wirklich? Sie kennen mich doch gar nicht!«
»Sie mich auch nicht. Aber da Sie nicht aussehen, als würden Sie mich im Schlaf ermorden … Es ist mir schlicht egal.«
Sie starrt zu mir hinauf. »Ich heiße Jane«, lässt sie mich wissen. »Jane Malorny. Danke, dass Sie mich nicht vertreiben.«
»Lassen wir die Förmlichkeiten, wenn wir schon unter einem Dach wohnen. Ich heiße Laura.« Damit kehre ich zurück in das Büro, setze mich an den Rechner und versuche, an meinem Text zu arbeiten.
II
»Dein Vater war ein sehr netter Mann. Ich bewunderte ihn schon während meines Studiums und als er eine Assistentin suchte … Es war anders, als ich es erwartet habe, aber …«
Wir sitzen beim Abendessen. Während ich an meinem Text arbeitete, hatte sie den Tisch gedeckt. Zwar nicht sonderlich liebevoll, aber vor mir
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