Payback
»der Computer wird eines Tages verstehen, welche Nachricht wichtig ist und welche warten kann.« 18
Die Frage ist nur, ob wir selbst überhaupt noch imstande sind, zu unterscheiden, was wichtig ist und was unwichtig? Wie nicht anders zu erwarten, antworten die Experten auch auf diese Frage wieder mit einer technischen Betriebsanleitung. Die Rechner, sagen sie, werden nicht nur die Nachrichten, sondern auch deren Empfänger, also uns, immer besser verstehen.
Nicht wir haben demnach ein Problem, sondern unsere Geräte.
Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube, dass
wir
ein ziemlich ernstes Problem haben. »Es könnte sein«, schreibt Daniel Dennett, der ein optimistischer Vordenker der Informa-tions-Technologien war, »dass wir ertrinken…, dass wir seelisch überwältigt werden, dass wir uns nicht den großen bösen Manipulationen unterwerfen, sondern nichts anderem als irgendwelchen unwiderstehlichen Liedchen, Signalen und Einzeilern«. 19
GOOGLELOS
Ich gehöre zu den (offensichtlich zahlreichen) Leuten, bei de nen Google seit rund einer Stunde nicht erreichbar ist. Und wenn ich »Google« sage, meine ich nicht nur die Suchmaschi ne, bei der ich im Fall ihrer Nicht-Erreichbarkeit nach Ersatz-Suchmaschinen suchen würde. Ich meine auch den Feedread er meiner Wahl. Und, vor allem: das Mailprogramm meiner Wahl. Gut, ich wusste immer schon, dass ich von Google abhängiger bin, als gut sein kann. Aber ich hatte immer gedacht, das wür de sich in einer Form rächen, dass meine Mails oder die syste matische Auswertung meiner Suchanfragen der letzten zehn Jahre an den Meistbietenden versteigert würden. Nicht, dass Google mich einfach eines Tages ausschließen würde. Das Gefühl ist schlimm. So kündigt sich in unseren Zeiten die Apokalypse an: »Google ist down.« Der Anfang vom Ende. Beunruhigende Gedanken:… soeben ist nun auch in den süd lichen Server ein Flugzeug gestürzt… Dazu die Unfähigkeit, die Tatsache zu akzeptieren, den Com puter auszumachen und, sagen wir, das Eisfach abzutauen. Nein. F5. Geht es, wenn ich google.fr eingebe? Nix. Google News? Nix. Google Reader? Nix. Hängt YouTube auch? YouTu be hängt auch. Sogar die Google-Ads werden nicht angezeigt. Noch mal nach was suchen. F5. Escape. F5. Ins Postfach gu cken. Geht nicht. Jetzt? Jetzt? Jetzt? Jetzt? Jetzt? Jetzt?
Nachtrag, 17.31 Uhr: Jetzt.
- 6. März 2008, 17:09 - 105 Kommentare
Stefan Niggemeier
Im Dezember 2005 erschreckte das amerikanische Bildungsministerium die Öffentlichkeit durch den Befund, dass die Zahl der College-Absolventen, die komplexere Texte interpretieren können, in den letzten vierzehn Jahren um zehn Prozent gesunken sei. Das Beunruhigendste daran, erklärte der Beauftragte für Bildungsstatistik, sei, »dass die Untersuchung nicht prüft, ob Sie Proust verstehen, sondern ob Sie Etiketten lesen können«. 20
Ende 2007 schloss sich die »National Endowment for Arts« in den Vereinigten Staaten an, die die bislang vollständigste und gründlichste Untersuchung zum Thema »Neues Lesen« vorlegte. Sie trägt den Titel »Lesen oder Nicht-Lesen - eine Frage von nationaler Bedeutung« und stellt fest: »Am alarmierendsten ist, dass sowohl das Lesen wie die
Bereitschaft
zum Lesen sogar unter College-Absolventen massiv zurückgegangen ist.« 21
Die Autoren dieser Studie - übrigens alles andere als Feinde der neuen Technologien und des Internets - zeigten außerdem, welche Folgen der Verlust an Lesekonzentration für die ökonomischen und sozialen Aufstiegschancen hat - nämlich verheerende. Dieser beklemmende Befund wurde nur noch durch die Erkenntnis in den Schatten gestellt, dass eine schnell wachsende Zahl von Kindern und Erwachsenen nicht mehr nur nicht lesen wollen, sondern nicht mehr systematisch lesen
können
.
Die Studie erbrachte den Beweis für die Veränderung unserer aller Gehirne. Und für die bemerkenswerte Geschwindigkeit, in der die digital entwickeltste Gesellschaft der Welt verlernt, komplexe Texte zu erfassen.
Dieser Schwund der Lesefähigkeit, von dem wir heute ausgehen müssen, bedeutet nicht, dass überhaupt nicht mehr gelesen wird. Aber Menschen, die Bücher und gedruckte Texte aus Freude lesen - so befürchtet etwa der junge amerikanische Schriftsteller Caleb Crain im »New Yorker« 22 -, werden in naher Zukunft so selten werden wie die Sammler von Zinnsoldaten. Und auch Caleb Crain bekennt offen seine Aufmerksamkeitsstörung: »Ich glaube, ich suche im Internet Informationen, hinter denen
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