Pedro Juan Gutiérrez
vorgeschoben? Schieb ihn auf und spiel nicht den starken Mann, damit ich gehen kann. Die Party ist jetzt für dich zu Ende.«
»Der Riegel ist nicht deinetwegen vorgeschoben. Das tue ich immer, damit man mich nicht im Schlaf stört.«
»Interessiert mich nicht. Mach auf.«
»Komm schon, sieh mich an. Noch eine Nummer, ich bezahl dich auch. Und dann gehst du.«
»Nein. Ich gehe gleich. Und fordere mich nicht heraus. Vor drei Tagen bin ich aus dem Knast gekommen. Weißt du, was das heißt? Meiner eigenen Mutter würde ich nicht trauen.«
»Das Beste, was du tun kannst. Immer ist ein Arschloch in der Nähe.«
»Das weiß ich nur zu gut. Spar dir deine Ratschläge.«
»Ich mache dir einen Vorschlag, vielleicht bist du interessiert. Kannst du lesen?«
»Klar.«
»Hilf mir mit den Büchern. Ich verkaufe sie am Eingangstor. Manchmal fragt mich jemand nach einem bestimmten Buch, und ich sage dann, ich hätte es nicht, und das war's dann.«
»Du kannst nicht lesen?«
»Ich muss es auch nicht unbedingt lernen.«
»Sicher, du musst auch kein Gras fressen und für den Rest eines Lebens auf allen Vieren herumlaufen.«
»Sieh mal an, wer spricht denn da? Du bist ja wohl bestia-lischer als ich. Immerhin habe ich niemanden in Stücke geschnitten.«
»Weil du nicht musstest.«
»Mag sein.«
»Belassen wir es dabei, Cholo. Wie viel zahlst du mir?«
»Viel wirft das hier nicht ab. Ich kann dir zehn Pesos am Tag geben.«
»Verarschen kann ich mich selbst, Alter. Zwei Wichsereien am Tag bringen mir schon vierzig, fünfzig Pesos. Siehst du nicht, dass ich weiß bin? Dunkle Kerle sind irre scharf auf eine Frau wie mich.«
»Und wo wohnst du?«
»Was, zum Teufel, interessiert dich das? Mach den Riegel auf, damit ich losgehen und mir einen Schwanz suchen kann. Ich habe schon viel zu viel erzählt.«
»Auch ich habe viel zu viel erzählt.«
Cholo entriegelte die Tür. Marisela trat in die frische Nachtluft hinaus und ging davon. Er trat hinaus und setzte sich am Eingangstor auf den Boden. Es wehte eine frische Brise. Er war nicht müde. Es musste ungefähr Mitternacht sein. Er sprang wieder hoch, hüpfte auf und ab und boxte ein paar kurze, direkte Uppercuts, ein paar Gerade oberhalb der Leiste.
»In der roten Ecke Cholo Banderas vom América-Club! Ding-dong! Eine harte Rechte! Siebenundneunzig Siege!« Die dunkle, stille Stadt schlief. Niemand sah Cholo Banderas. Er wurde müde, gegen einen unsichtbaren Gegner anzutreten, und lachte aus tiefstem Herzen. »Was für eine herrliche Nacht, verdammt noch mal, was für eine herrliche Nacht! Wie spät mag es sein? Bestimmt wird es gleich hell, und dann hole ich die Bücher raus, und los geht der Kampf. Auf in den Kampf! Nie darf man die Deckung aufgeben. Dafür hat man mich schon manchmal k.o. geschlagen. Nur weil ich die Deckung aufge-geben hatte.«
Havanna, April-Oktober 1997
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