Die Kugel und das Opium
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Vor dem Massaker am 4 . Juni 1989 war ich ein Dichter, der gegen die Tradition rebellierte, besessen davon, mich herumzutreiben, zu prügeln, die Nacht zum Tage zu machen und viel Unsinn zu reden. Ich hatte über 20 offizielle Literaturpreise bekommen und war überzeugt davon, es früher oder später zu einem gewissen Erfolg in der internationalen Literaturszene zu bringen. Und dann wurde ich wegen meiner Gedichte bestraft und saß im Gefängnis. Meine romantische Dichterhaut ist mir bei lebendigem Leibe abgezogen worden. Dann wurde ich aus dem Gefängnis entlassen. Es war, als sei die Welt binnen einer einzigen Nacht auf den Kopf gestellt und ich zum Abfall geworfen worden.
Das Massaker vom 4 . Juni ist ein Trennstrich, vorher haben alle wie ein Bienenvolk ihr Vaterland, danach haben alle wie ein Bienenvolk das Geld geliebt. Als aus Gefängnis und Umerziehungslager entlassener Krimineller und ohne Geld war ich eine Unperson. Als ich in meine Heimat zurückkam und meine frühere Frau, meine Eltern, Schwestern und alten Freunde wiedersah, geschah das alles in einer übertriebenen Stille und nicht in solch bewegten Szenen, wie in manchen Büchern beschrieben. Meine Tochter wurde ein halbes Jahr nach meiner Inhaftierung geboren, das Kind, das jetzt über drei Jahre alt war, war außer sich vor Entsetzen, als ich ihm zum ersten Mal meinen kahlgeschorenen Schädel zeigte; es schrie, versteckte sich hinter der Tür und spuckte heimlich aus.
Häftlinge sind Hagestolze, ausnahmslos. Manche bekommen für Jahre oder gar Jahrzehnte keine Frau zu Gesicht, deshalb ist in den Gefängnissen Sex Thema Nummer eins. Dem entgehen auch politische Gefangene nicht, trotz ihrer Ideale und ihrem Verantwortungsgefühl. Der einzige Unterschied ist, dass bei den kollektiven Masturbationsaktionen der Straftäter, die die Zellen in dampfende Sümpfe verwandeln, die Politischen sich entweder taub stellen oder sich zurückziehen. Ich habe mir einmal mit einem Menschenhändler den oberen und unteren Schlafplatz geteilt. Jedes Mal, wenn das Gefängnis uns etwas Gutes gönnte, musste der Kerl sich selbst befriedigen; manchmal waren seine Bewegungen so heftig, dass ich, der ich über ihm lag, es nicht mehr aushielt und gegen das eiserne Bettgestell schlug. Dann hob er den Kopf und brüllte, wobei seine Hand weitermachte: Man muss das Messer schleifen, sonst setzt es Rost an, das solltest du wissen!
Ich rümpfte die Nase. Doch als ich wieder draußen war, war ich auf einmal »eingerostet«. Die Wiedervereinigung mit meiner Frau, die ich so lange ersehnt hatte, war eine einzige Katastrophe, kaum berührten wir uns, war es zu Ende. Meine frühere Frau kroch hoch und sagte kalt: Ich wollte das sowieso nicht, aber wo du doch gerade erst heimgekommen bist, konnte ich es schlecht nicht machen.
Äußerlich hockte ich da wie eine Glucke bei Donner, innerlich jedoch war ich am Boden zerstört. Hastig zog ich mich wieder an. Nach gut drei Monaten haben wir uns nach einem hysterischen Krach scheiden lassen. Die Welt war wirklich eine Hölle, ein Mann mit starkem sexuellen Verlangen, der ständig unter ejaculatio praecox litt, eine verlassene Missgeburt, ein glanzloses politisches Relikt, das nicht aus noch ein wusste.
Die Freunde von früher haben einmal angerufen und dann nicht wieder; sie kamen eigens vorbei, um mich zum Essen einzuladen, dann haben sie sich nicht mehr sehen lassen. Meine Exfrau brachte für einen Nachtclub in Chengdu eine Unterhaltungszeitschrift heraus; sie befürchtete, dass mein kahler Schädel jemanden provozieren könnte, und hat mir eine Perücke gekauft, die ich aufsetzen musste.
Einmal mitten in der Nacht machte ich mir Sorgen um sie, habe mir die Perücke über den Kopf gestülpt und bin in den Nachtclub, um sie abzuholen. Doch als ich zur Tür hineinkam, bin ich mit zwei Generalmanagern, einem dicken und einem dünnen, zusammengeprallt. Früher waren beide Dichter und beide waren Freunde von mir gewesen. Wir hatten zusammen eine Untergrundzeitschrift für Lyrik herausgebracht und uns gemeinsam über die Kommunistische Partei lustig gemacht. Natürlich waren beide viel patriotischer als ich. Bei den Studentenunruhen von 1989 sind sie auf den Campus der Universität gerannt und haben Lesungen veranstaltet, Lesungen mit politischen Gedichten gegen Korruption. Und am Abend des 4 . Juni ist ihre Begeisterung noch höher geschlagen, und sie rannten zum Tianfu-Platz und unterstützten die Studenten, die der bewaffneten Polizei
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