Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Können Sie sich überhaupt vorstellen, was hier los ist? Wie mir die Redakteure im Nacken sitzen? Andere Zeitungen sind auch hinter dieser Story her, das ist Ihnen doch hoffentlich klar?«
»Sicher«, sagte der Mann auf dem Bett und streifte gemächlich die Schuhe ab. »Aber andere Zeitungen wissen nichts von Wedeberg.«
»Und das müssen wir nutzen!«, heulte es aus der Leitung. »Wir müssen raus mit dieser Meldung. Die Titelseite, Tommaso, Sie kriegen die Titelseite – bloß schicken Sie mir endlich etwas, womit ich sie füllen kann!«
»Ich muss mir meiner Sache erst hundertprozentig sicher sein.«
»Grundgütiger…! Ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist. Sonst war es immer die reine Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, aber diesmal stellen Sie sich ausgesprochen… ich sag's lieber nicht. Aus dem hinterletzten afghanischen Kuhdorf habe ich mehr von Ihnen gehört als jetzt aus dem Schwarzwald. Tommaso, was ist los mit Ihnen?«
Der Mann mit dem Vollbart holte tief Atem. »Ich tue nur meinen Job. Sie sind nervöser als sonst, das ist alles.«
»Nervös? Na klar bin ich nervös, verdammt noch mal. Ein Chefredakteur muss nervös sein und auf hundertachtzig, sonst taugt er nichts. Glauben Sie, ich kann ruhig schlafen? Nach all den Vorarbeiten, dem ganzen Geld, das wir ausgegeben h a ben? Wenn jemand anders auf die gleiche Spur kommt und die Sache woanders zuerst erscheint, bin ich die längste Zeit Chefredakteur gewesen. Dann kriege ich höchstens noch einen Job bei der Müllabfuhr.«
»Niemand anders wird auf die gleiche Spur kommen. Das, was ich weiß, kann niemand sonst wissen.«
»Das sagen Sie jedes Mal.«
»Wenn Sie damit rausgehen – wären Sie sich dann nicht lieber sicher, dass alles stimmt, was Sie schreiben?«
Wieder das Keuchen, und eine Pause. Im Hintergrund hörte man Stimmengemurmel und das Klackern von Tastat u ren. »Ich brauche Bilder. Wenigstens ein Bild, Tommaso, bitte! Nur damit ich in der Konferenz was vorzeigen kann. Und schreiben Sie endlich etwas, sonst tue ich es selber.«
Der Mann mit dem wolligen Vollbart seufzte. »Gut. Wenn Sie mir versprechen, dass noch nichts erscheint, schicke ich Ihnen, was ich bis jetzt habe.«
»Versprochen. Sind Bilder dabei?«
»Bekomme ich übermorgen.«
Damit war der Mann am anderen Ende nicht glücklich, das war deutlich zu hören. Aber er sagte: »Also. Schicken Sie, was Sie haben.«
Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, stemmte der Mann sich hoch und schleppte sich auf den Stuhl vor dem mit Hotelprospekten überladenen Schreibtisch, auf dem sein Laptop stand. Aber er schrieb nichts, sondern starrte minutenlang nur die weiße Wand an. Schließlich legte er die Hände auf die Wangen, massierte seine Nasenflügel und murmelte vor sich hin:
»Porco dio! Was habe ich da nur angerichtet?«
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Wolfgang starb tausend Tode während dieses Konzerts. Schweiß rann in Bächen unter seinem Hemd, aber er wäre nicht im Mindesten überrascht gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass es nicht sein Schweiß war, sondern sein Blut. Unfassbar, wie gut der Japaner spielte. Unfassbar auch, dass Vater im Ernst zu glauben schien, er, Wolfgang Wedeberg, würde jemals im Stande sein, auch nur annähernd so gut zu spielen. Und er glaubte es tatsächlich. Immer wieder, meistens nach einer atemberaubenden Kadenz, sah er herüber mit einem Blick, als wolle er sagen: Demnächst du!
Nie im Leben. Nie im Leben würde er so spielen. Die Finger Hiruyokis tanzten förmlich über die Saiten. Sein Bogen schien lebendig zu sein. Und natürlich spielte er auswendig, alles ohne Noten! Wolfgang sah ihm zu mit dem Gefühl, ein Omnibus zu sein, von dem man erwartete, im nächsten Formel-I-Rennen mitzufahren – und zu siegen.
Er versank in seinem Sessel und wünschte sich, im Erdboden zu versinken. Alles ringsumher verschwamm hinter dunklen Nebeln, es gab nur noch ihn und den jungen Solo-Cellisten oben auf der Bühne, und diese so mühelos wirkenden, so unglaublich gekonnten Töne, die er seinem ungewöhnlich hell lackierten Instrument entlockte. Verrückte Phantasien zuckten durch seinen Kopf, wie die, nach dem Konzert würden die Leute auf ihn zeigen und ihn auslachen, oder ihn auffordern, auf die Bühne zu gehen und zu spielen, nachzumachen, was Hiruyoki vorgemacht hatte, und er würde mit hochrotem Kopf gehorchen und sich unsterblich blamieren… Hörte überhaupt jemand zu? Es kam ihm vor, als beobachte ihn jeder im Saal heimlich und
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