Perry Rhodan Neo 001 - Sternenstaub
habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»War er in der Werkstatt?«
»Um seinen Raumschrott loszuschlagen?« Sue hielt nichts von Sids Lieblingsbeschäftigungen. »Nein. Nevada muss ihm auf den Magen geschlagen haben. Er hat kaum was gegessen. Wahrscheinlich liegt er im Bett und träumt von Aliens, die ihn entführen und endlich aus diesem Irrenhaus hier rausholen.«
Marshall ignorierte die Spitze. Sue war zuweilen unheimlich erwachsen, aber sie war auch ein gewöhnliches Kind und damit jederzeit bereit, grausame Bemerkungen über andere Kinder zu machen. »Was ist mit dem Rest?«, fragte er lauter. »Hat jemand von euch Sid nach dem Frühstück gesehen?«
Die Kinder schüttelten den Kopf.
»Also gut. Wir suchen das ganze Haus von oben nach unten ab.« Marshall wandte sich an die beiden Zwillinge, die unmittelbar hinter Sue gewartet hatten. »Tyler, Damon, ihr zwei bleibt an den Ausgängen, damit Sid sich nicht davonmacht!«
Die Zwillinge nickten. Sie sahen Marshall nicht an. Tyler und Damon fürchteten wie die übrigen Kinder die Polizei. Mit einem Unterschied: Sie fürchteten und hassten sie.
»Los jetzt!«, rief Marshall. »Worauf wartet ihr noch?«
Die Kinder schreckten hoch und huschten die Treppe hinauf, als handele es sich um ein Wettrennen. Die Zwillinge blieben zurück. Tyler ging an die Tür, kniete vor dem Briefkastenschlitz, hob die Klappe an und spähte nach draußen. Seine freie Hand hatte sich um den Heiligen Christophorus geschlossen. Damon ging wortlos zum Hinterausgang.
Marshall hatte kein gutes Gefühl, die beiden allein zu lassen. Andererseits hatte er ihnen damit eine Aufgabe gegeben, die sie von den anderen Kindern abhob und hoffentlich genug beschäftigte, um sich nicht zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen zu lassen.
Wenn auch eine sinnlose Aufgabe. Wie immer es Sid anstellte, er vermochte das Unmögliche. In Nevada Fields in den abgesperrten Bereich am Startturm zu schleichen, in einen Banktresor ein- und wieder auszubrechen. Wer oder was sollte Sid aufhalten?
Und, selbst wenn sie den Jungen fanden und zu fassen bekamen, was dann? Marshall hatte nicht die geringste Ahnung, was er mit Sid anstellen sollte. Ihn der Polizei ausliefern? Unvorstellbar. Texanisches Recht war nicht zimperlich, auch nicht bei Jugendlichen. Sid würde für Jahre ins Gefängnis gehen.
Für einen versuchten Bankraub, den er, John Marshall, zu verantworten hatte.
Er hätte seine Sorgen nicht bei Sid abladen dürfen. Sid war nur ein Kind. Auf die Eröffnung, dass die Stiftung Geldschwierigkeiten hatte, hatte er nur auf eine Weise reagieren können: Er musste versuchen, Geld aufzutreiben. Und wo gab es Geld? Natürlich bei einer Bank.
Doch Marshalls Reue kam zu spät. Es war geschehen, was geschehen war. Marshall blieb nur noch, Sid schnell zu finden und auf ein Wunder zu hoffen. Er klammerte sich an diesen Gedanken. Ein Wunder, ja. War dieser Homer Adams nicht ein Wunder, das aus dem Nichts gekommen war? Vielleicht gab es eine ganz einfache Erklärung. So simpel, dass alle sie übersehen hatten. Oder Deborah bekam es hin, Sid loszueisen. Die Polizistin war findig. Man durfte sie nicht unterschätzen.
Der oberste Stock war rasch durchsucht. Es gab nur zwei Zimmer, das Sids und das Johns. Sie waren verlassen. Blieben die Flächen unter der Dachschräge, die sie als Speicher nutzten. Sue, die so wendig war, dass eine Schlange sich vor Neid geringelt hätte, arbeitete sich durch das Gerümpel. Als sie wieder zum Vorschein kam, war ihr Kostüm schmutzig und an ihrem verkrüppelten Arm aufgerissen. Rote, entzündete Haut lugte hervor.
Sue schien es nicht zu bemerken. »Hier ist er nicht!«, keuchte sie.
Der zweite Stock. Überall waren Kinder, räumten die Schränke aus, krochen unter die Betten, in verborgene Ecken.
Kein Sid.
Sue kam zu Marshall gerannt, griff nach seinem Handgelenk und zog ihn zu sich herunter. »John«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Geh zum Fenster! Unauffällig!«
Marshall wartete einige Augenblicke, bevor er wie beiläufig zu dem bodentiefen Fenster ging, das zur Straße wies. Ein zweiter Streifenwagen war eingetroffen. Deborah stand an der Fahrertür und gestikulierte mit ihren fleischigen Armen. Marshall war zu weit weg, um zu hören, was sie sagte. Doch er spürte, um was es ging: Deborah wollte den Wagen wegschicken. Sie wusste um die Angst der Kinder und versuchte zu verhindern, dass die Situation eskalierte.
Sue stellte sich neben Marshall, lehnte sich an ihn. Sie zitterte. Marshall
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