Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
»Eva, es ist vorbei! Sie lebt! Gott sei Dank! Die Fernsteuerung hat anscheinend nicht funktioniert.«
»Gut!«, war alles, was sie in ihrem Zustand antworten konnte.
Plötzlich kamen mehrere Polizeiautos und Notarztwagen mit Sirenen und Blaulicht aus der Dunkelheit auf den Waldparkplatz gebraust. Noch bevor das vordere Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, hatte Schauß die Wagentür aufgerissen und rannte zu seinem Chef.
»Gott sei Dank, du lebst!«
»Musstet ihr ihn wirklich erschießen? Ich hab euch doch gesagt, dass ihr nicht eingreifen sollt. Wir hatten ihn fast so weit …«
»Wolf, wir haben uns an deine Anweisungen gehalten. Von uns hat keiner geschossen!«, rechtfertigte sich Kommissar Schauß.
»Wer dann?«
»Ich«, rief plötzlich Oberförster Kreilinger, den Tannenberg bislang nicht wahrgenommen hatte. »Ich habe Ihnen und Ihrer Kollegin eben das Leben gerettet«, sagte er im Brustton der Überzeugung, gerade etwas wirklich Grandioses geleistet zu haben.
»Was? Sie Idiot! Sie, Sie, Sie blöder Waldrambo! Was meinen Sie, was passiert wäre, wenn die Fernsteuerung funktioniert hätte? Dann wäre die Frau dort oben jetzt tot! Und Sie hätten sie auf dem Gewissen! Verschwinden Sie! Gehen Sie mir ja aus den Augen!«
Geiger nahm den verblüfften Förster am Arm und zog ihn in Richtung der Polizeiautos.
Inzwischen waren auch die Kriminaltechniker auf dem Parkplatz im Finsterbrunnertal erschienen.
Mertel ging als Allererstes zu Tannenberg und legte ihm kurz eine Hand auf die Schulter. »Schön, dass dir nichts passiert ist, altes Schlachtross.«
Dann wies er zwei Mitarbeiter an, zu den Befestigungsstellen der Spanngurte hochzuklettern und die Bänder vorsichtig zu lockern, damit die Frau langsam nach unten gelassen und von dem am Fuß des Sandsteinfelsens wartenden Notarzt versorgt werden konnte.
Die beiden Männer hatten sich schnell auf dem festen Waldboden nach oben hinter den Felsen vorgearbeitet und waren auch gleich in der Lage, die anscheinend nicht sehr kompliziert an zwei Bäumen befestigten Gurte zu lösen und mit der Abseilaktion zu beginnen.
Schon nach kurzer Zeit konnten der Arzt und ein Sanitäter die Frau am Fuß des Felsens in Empfang nehmen.
»Die Frau ist tot! Und zwar schon seit mehreren Stunden«, stellte der Notfallmediziner emotionslos fest.
»Was?«, schrie Tannenberg entsetzt. »Wieso zeigt der Monitor dann ihre Herzschläge an und wieso atmet sie?«
»Weil ein elektrischer Blasebalg unter dem Vorderteil ihres Rucksacks versteckt ist, der ein Luftkissen aufbläst«, sagte Mertel mit ruhiger Stimme, nachdem er den roten Reißverschluss auf dem Bauch der toten Frau geöffnet hatte. »Und weil der Monitor manipuliert wurde.«
Tannenberg kniete nieder und nahm das sich immer noch aufblähende und wieder in sich zusammenfallende Luftkissen in die Hand. »Wahnsinn!«
Plötzlich spürte er von hinten eine Hand auf seiner Schulter.
»Wolf, ich hab die Stellung in meinen Schachcomputer eingegeben. Du kannst mit Schwarz bestenfalls ein Remis erzielen, aber nur mit Hilfe eines völlig waghalsigen Damenopfers.«
Tannenberg schüttelte nur den Kopf. Dann erhob er sich und entfernte sich mit langsamen Schritten von diesem albtraumhaften, gespenstischen Szenario. Er setzte sich ein wenig abseits auf einen Baumstumpf und beobachtete das unwirkliche Geschehen, welches sich einige Meter von ihm entfernt auf der hell erleuchteten Waldbühne abspielte.
Die immer noch unter Schock stehende Kriminalpsychologin wurde ärztlich versorgt, während der Gerichtsmediziner damit begann, die beiden Leichname zu untersuchen.
Wie schon des öfteren in seinem Leben, gerade dann, wenn die finsteren Mächte des Schicksals sich unerbittlich gegen ihn verbündet zu haben schienen und ihn mit aller Macht wie eine Kellerassel zu zerquetschen drohten, sprießte plötzlich in seinem tiefsten Innern ein zarter, aber schnell wachsender Spross unbändiger Lebensenergie.
Während der Krankenwagen mit der Psychologin langsam das Schlachtfeld verließ, verspürte er – vielleicht wegen der Assoziation ›Schlachtfeld‹, die sich mit aller Macht in sein Bewusstsein vorgearbeitet hatte – das dringende Bedürfnis, sich einen Musiktitel aus der Doors-CD anzuhören, die er zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und der wie kein anderer zu diesem apokalyptischen Szenario zu passen schien.
Tannenberg schlenderte wie in Trance gemächlich zu seinem feuerroten BMW und sang leise: ›This is the end, my only
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