Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Titel: Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
Vom Netzwerk:
herrlicher Sommermorgen: Kühl, klar – und Vollmond, einfach spitze! Da geh ich heute Abend selbstverständlich auf die Jagd«, frohlockte der ganz in Grün gekleidete Waldschrat, den Tannenberg spontan in die Kategorie »Unsympath« einordnete.
    Warum hat dieses barbarische Jägervolk nur so viel Spaß daran, friedliche, wehrlose Waldbewohner heimtückisch abzuknallen, fragte sich Tannenberg gerade, als sein Kopf unsanft an den oberen Türholm geschleudert wurde.
    »Mensch, müssen Sie denn in jedes Schlagloch fahren?«
    »Entschuldigung, aber wir sind hier schließlich im Wald und nicht in der Fußgängerzone!«, entgegnete der Gescholtene trotzig. »Da vorne ist es übrigens schon.«
    Tannenberg sah bereits von weitem die rot-weißen Kunststoffbänder, mit denen der Ort des Verbrechens bzw. der Fundort der Leiche abgesperrt war. Unwillkürlich musste er an den 1. FC Kaiserslautern denken, der gestern Nachmittag durch eine blamable Vorstellung beim FC St. Pauli mal wieder die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb im wahrsten Wortsinne verspielt hatte.
    Als er den schmalen, dicht mit Brennnesseln und Himbeerbüschen umzäunten Pfad zum Pfaffenbrunnen emporstieg, war er froh darüber, das Abonnement für seine Dauerkarte auf der Nordtribüne schon vor Jahren gekündigt zu haben; denn für das, was sich heute im Profifußball abspielte, hatte er kein Verständnis mehr. Gestern Morgen hatte er gelesen, dass wegen der Kirch-Pleite die völlig überzogenen Millionengehälter dieser verwöhnten Balljongleure durch Bundesbürgschaften abgesichert werden sollten. – Unglaublich!
    »Ja, es ist wirklich unglaublich, Chef, was Sie gleich sehen werden«, bemerkte plötzlich der direkt vor ihm gehende Geiger.
    Inzwischen hatte Tannenberg den ersten der sieben Sandstein-Findlinge erreicht, die man vor Jahrzehnten am Steilhang unterhalb der Schutzhütte wie eine große Steintreppe übereinander getürmt hatte. Zunächst sah er nur zwei über den Felsblock hängende nackte Füße, dann, nachdem er keuchend den beschwerlichen Rest des Anstiegs bewältigte hatte, das ganze Bild.
    Ja, es war ein Bild, ein Kunstwerk, ein kunstvoll gestaltetes Arrangement, das sich ihm hier oben darbot. Diese Begrifflichkeiten waren zwar durchaus makaber, handelte es sich ja schließlich um einen toten Menschen, der wie auf einem Altar oben auf der roten Sandsteinplatte lag, so aufgebahrt, wie man vielleicht früher Menschenopfer irgendeinem heidnischen Gott dargebracht hatte. Aber Tannenberg ließ diese Assoziationen unzensiert zu, ja er sprach sie sogar auf sein Diktaphon, das er immer bei sich trug. Schließlich hatte er von Kriminalrat Weilacher gelernt, dass der erste Eindruck, den man vom Tatort, dem Zustand der Leiche usw. gewann, extrem wichtig war und oft entscheidenden Einfluss auf die weiteren Ermittlungen hatte.
    Als Tannenberg nur noch wenige Schritte von der bis auf die fehlenden Schuhe vollständig bekleideten Toten entfernt war, musste er im ersten Moment unwillkürlich an das friedlich schlummernde Dornröschen denken. Während er aber ein wenig näher an die tote Frau herantrat, verabschiedete sich dieser merkwürdige Gedanke genauso schnell aus seinem Bewusstsein, wie er aufgetaucht war. Denn was er jetzt zu Gesicht bekam, hatte absolut gar nichts mehr mit dem Bild eines lebensnah hergerichteten friedlichen Leichnams zu tun, wie man ihn von kirchlichen Trauerfeiern her kennt.
    Auf dem fahlen Antlitz der Toten konnte man zwar auf den ersten Blick keine Verletzungen erkennen, aber das Gesicht der Frau war total entstellt, völlig verzerrt, mit weit aufgerissenem, schiefem Mund und kreisrunden Glotzaugen – genau wie ›Der Schrei‹ von Edvard Munch, dieses abscheuliche Gemälde, das Tannenberg einmal in einer Kunstausstellung gesehen hatte. Dieses stumme Entsetzen, diese abgrundtiefe Verzweiflung.
    Die schreckliche Totenfratze hatte ihn zunächst derart in ihren Bann gezogen, dass er erst einige Augenblicke später ein Detail an der Toten wahrnahm, das er, obwohl schon seit zwanzig Jahren beruflich mit Mord und Totschlag beschäftigt, wirklich noch nie gesehen hatte.
    Geiger hatte recht gehabt – es war unglaublich! Die Kehle der toten Frau war etwa fünf Zentimeter breit aufgeschlitzt worden und in den klaffenden Spalt hatte irgendjemand Pfifferlinge gesteckt – drei große dottergelbe Pfifferlinge.
    »Komm, Wolf, lass uns erst mal unsere Arbeit fertig machen. Du und der Doc können nachher in aller Ruhe, von mir aus den

Weitere Kostenlose Bücher