Pistenteufel
Abfahrt an, obwohl ihre Stärken eher im Riesenslalom und Super G liegen.« Karen nickte.
Bob machte sich einige Notizen. »Was ist Super G?«, fragte er.
Karen zählte die Disziplinen im Skisport auf: Abfahrt, Super G, Riesenslalom, Slalom. »Vereinfacht gesehen ist es so, dass in der Abfahrt die wenigsten Tore zu durchfahren sind, und abgestuft bis zum Slalom immer mehr. Deswegen ist die Abfahrt die schnellste Disziplin, man kann den Ski mehr laufen lassen. Super G ist immer noch recht schnell, aber durch die zusätzlichen Tore etwas rhythmischer.«
»Slalom ist dann im Vergleich am langsamsten«, fügte Bob überflüssigerweise hinzu. Peter verdrehte die Augen, Bob hatte es nun also auch verstanden.
»Und obwohl Nicola deine Konkurrentin ist, kommst du gut mit ihr aus?«, bohrte Justus nach.
»Ja«, die Antwort kam etwas zögernd. »Ja, natürlich. Aber ihr denkt doch nicht …?«
Justus registrierte das Zögern, überging es aber und wechselte noch einmal zurück zu den Briefen. »Wo tauchten die Schreiben überhaupt auf? Hast du an jedem Ort, an dem ihr in letzter Zeit gestartet seid, Briefe bekommen?«
»Ja, das ist es ja gerade, was mich beunruhigt. Der Briefeschreiber scheint mitzufahren.«
»Oder die Briefeschreiberin«, ergänzte Peter. »Immerhin kann es genauso gut eine Frau sein.«
»Karen …«, Bob notierte noch schnell seine Stichworte zu Ende, »Karen, wie reagierst du eigentlich auf diese Art von Post? Ich meine, an sich klingen die Mitteilungen ja zunächst einmal harmlos. Was bewirken sie in dir?«
Bob bemerkte, wie Karen eine Hand an den Hals legte, eine Geste der Unsicherheit. Er hatte mit seiner Frage einen wunden Punkt berührt. »Nun ja«, antwortete Karen, »ich bin schon etwas irritiert. Natürlich klingen sie erst einmal harmlos. Aber es sind so seltsame Ankündigungen. Versteht mich richtig, eigentlich bin ich nicht ängstlich, sonst wäre ich ja wohl kaum Abfahrtsläuferin. Da muss man lernen, seine Angst zu überwinden und auch seine Euphorie. Wenn man ganz vorne dabei sein will, muss man immer cool bleiben und gleichzeitig an seine Grenzen gehen, bis zum Äußersten. Ein kleiner Fehler, und ein schwerer Sturz droht – und sogar der Tod. Das verdränge ich natürlich meistens.«
Bob schaute sie an und hörte ruhig weiter zu. Karen hatte inzwischen ihre Hand wieder heruntergenommen. Sie sprach auch sicherer und gab ganz offen ihre Lage preis. »Bei so einer Konzentration genügen Kleinigkeiten, und ich komme aus meinem Rhythmus. Aus meinem inneren Gleichgewicht. Meine Sicherheit, mein Fundament bekommt erste Risse. Ich werde unkonzentrierter und mache Fehler. Und das zieht meist weitere Fehler nach sich. Ein teuflischer Kreislauf. Die Leistung wird schwächer. Die Presse fragt nach, macht Druck. Ich versuche mich davon fern zu halten. Die Trainer reagieren erst einmal besonnen und möchten Ruhe ausstrahlen. Aber natürlich werden auch sie nervöser. Auch sie stehen unter Erfolgsdruck.«
»Und diese Briefe sind solche Kleinigkeiten, die dich aus deiner Ruhe bringen«, schloss Bob. »Das könnte also ein Motiv sein: Vielleicht versucht jemand dich mit einfachen Mitteln von der Erfolgsspur zu bringen. Immerhin zählst du zu den Favoritinnen für den Gesamtweltcup.«
Karen gab ihm Recht. »Das denke ich auch. Bis jetzt habe ich noch alles gut im Griff. Ein zweiter und ein dritter Platz in der Abfahrt, in den anderen Disziplinen bin ich auch nicht schlecht gefahren, insgesamt bin ich also noch gut dabei. Auch die Trainingsläufe hier waren nicht schlecht.«
»Es bleibt natürlich die Unsicherheit, wie sich das weiterentwickelt«, sagte Bob. »Wie weit der Unbekannte womöglich geht. Bis jetzt stehen keine Drohungen in den Briefen. Aber was ist, wenn sich der Erfolg nicht einstellt? Oder besser: Wenn sich dein Misserfolg nicht einstellt? Muss der Briefeschreiber dann nicht zu härteren Maßnahmen greifen? Sich mehr aus der Deckung wagen? Dich stärker bedrohen?«
Karen drehte nervös ihre Kaffeetasse zwischen den Fingern. Natürlich, das war die Frage. Was würde noch passieren, was würde der unheimliche Briefeschreiber sich noch ausdenken? Sie guckte unruhig umher. Ihr Blick blieb an Justus hängen, der ihr ruhig in die Augen schaute. Etwas zu lange, dachte Bob. Kein Zweifel, Justus fand Karen toll. Was durchaus zu verstehen war. Gerade als Bob etwas sagen wollte, um die durch seine Schlussfolgerung entstandene Situation wieder zu entspannen, fand Justus in seine
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